Review: Das unabwendbare Altern der Gefühle

Letztes Jahr hat mich Zidrou mit Die Adoption tief berührt, nun ist gerade seine neuste Graphic Novel „Das unabwendbare Altern der Gefühle“ beim Splitter Verlag erschienen und schon auf den ersten Blick war ich von der Geschichte gefesselt…

Mediterranee ist Anfang sechzig, als ihre Mutter stirbt. Schlagartig wird ihr bewusst, daß sie nun die Älteste in der Familie ist und das, was man wohl eine „alte Frau“ nennt, auch wenn sie sich in ihrem Inneren noch lange nicht so fühlt.

Ulysses ist Ende fünfzig, als er in Frührente geschickt wird. Seine Frau ist schon vor Jahren gestorben und so sitzt er Abends oft alleine vor dem Fernseher oder einem Sudoku, dabei will er noch nicht zum alten Eisen gehören.

Mit zwei so ähnlichen Geschichten und so schicksalhaften Namen ist klar, daß sich die beiden eines Tages begegnen müssen. Und so kommt es, daß sich Mediterranee und Ulysses ineinander verlieben, sich wieder jung fühlen und ihren zweiten Frühling genießen.

Doch dann passiert etwas, womit keiner rechnen konnte und was das Leben der beiden völlig auf den Kopf stellt…

„Das unabwendbare Altern der Gefühle“ hat mich wirklich sehr bewegt und am Schluß hatte ich – wie so oft bei großartigen Graphic Novels – Tränen in den Augen.

Zunächst einmal hat mich das Thema sehr angesprochen. Über Liebe und Sex im Alter liest man nicht sehr häufig; eigentlich fiel mit spontan nur „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ ein.
Dabei zeigt Illustratorin Aimée de Jongh die Körper von Mediterranee und Ulysses wirklich ungeschönt, mit Fettpolstern, Falten und Altersflecken und trotzdem mit sehr viel Schönheit, die von ihrer inneren Haltung und dem gemeinsamen Glück ausgeht.

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„Das unabwendbare Altern der Gefühle“ ist eine wirklich schöne Graphic Novel, mit einer Geschichte, die ans Herz geht, Charakteren, zu denen man (bei mir trotz deutlichem Altersunterschied) sofort eine Verbindung aufbaut und einer Wendung, die man garantiert nicht vorhersieht.

Von mir gibt es dafür eine klare Empfehlung!

Autor: Lesen... in vollen Zügen

Seit 20 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin in München und seit 2017 gibt es nun "Lesen... in vollen Zügen". Hier möchte ich euch vorstellen, welche Bücher mich gerade bewegen. Meine Beträge verfasse ich im Plauderton, eben so, wie ich auch mit meinen Kunden im Laden ins Gespäch komme. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktueller deutsch- und englischsprachiger Literatur. Aber ich bin auch ein großer Fan von schönen Illustrationen und stelle deshalb regelmäßig Graphic Novels und spannende illustrierte Sachbücher vor. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und Amélie Nothomb. Außerdem mache ich mir immer wieder Gedanken zum Thema Leseverhalten in der Rubrik Mein Leben als Leser und plaudere aus dem Nähkästchen in Bekenntnisse einer Buchhändlerin. Wem jetzt aber die Züge bei "Lesen... in vollen Zügen" zu kurz kommen, der kann gerne bei In vollen Zügen nach… vorbei schauen. Hier berichte ich von meinen Zugreisen, den Büchern, die mich dabei begleiten, den Städten die ich besuche und natürlich auch von schönen Buchhandlungen, die es dort zu entdecken gibt.

10 Kommentare zu „Review: Das unabwendbare Altern der Gefühle“

  1. Hey Andrea,

    das klingt wirklich wieder nach einem sehr spannenden Buch, danke für die Rezension! Und ich staune wirklich, wann du – neben deiner Arbeit und Sonstigem – die Zeit findest, all diese, zum Teil ja dicken, Werke zu lesen und dann mit Bild und Text zu preisen…😉

    Findest du übrigens nicht auch, dass manchmal in uns jungen und mittelalten Menschen die Erwartung mitschwingt, im Alter zeige sich irgendeine Art grundsätzlicher Gelassenheit oder gar Weisheit? Bis zu einem gewissen Grad ist das vielleicht auch so, aber tiefe Gefühle sind wohl auch im Alter noch ähnlich aufwühlend wie einige Jahre zuvor – das jedenfalls scheint das Buch, das du hier beschreibst, nahezulegen!

    Herzlichen Gruß und danke für die Anregung, Sarah

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    1. Grüß dich Sarah,

      ja, wenn ich an das Alter denke, dann (neben all den leidigen Zipperlein denen man wohl nicht entkommt) mit einer gewissen Ahnung, daß man seinen Platz im Leben gefunden hat und daß man seinen Frieden mit der Welt gemacht hat.

      Andererseits dachte ich das früher auch über Dreißigjährige… Man hat seine Ehe, seine Familie, seine Wohnung und seinen Beruf und dann wird plötzlich alles wild durcheinander geworfen und plötzlich fühlt man sich unsicherer als damals als Teenager.

      Vielleicht hat man im Alter mit den selben Dramen zu kämpfen, wie mit 17 oder mit 37…
      Vielleicht besteht aber auch Hoffnung, daß man tatsächlich entspannter wird. 😉
      Vielen Dank und liebe Grüße,
      Andrea

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  2. Liebe und Sex im Alter, das ist ein komplexes Thema. Es ist für die jungen Menschen ein igitt-Thema, wenn sie sich vorstellen ihre Eltern haben noch Sex so mit 50-99. daher ist es wohl gut, das jemand dieses Thema so liebevoll, aufgegriffen hat.
    Lieben Gruß, Ewald
    P.S. habe mir das Buch „Es geht noch ein Zug von Gare du Nord“ gekauft, Danke für den Tipp 😊

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    1. Ich hatte mal ein schönes Erlebnis, da redete ich mit einer Freundin über das Thema Sex, als plötzlich ihre Tochter mit damals vielleicht 14 Jahren plötzlich im Zimmer stand und nur angewidert meinte: „Bäh… Ich mag mir das gar nicht vorstellen, daß Leute in dem Alter noch Sex haben!“
      Tja… Damals war ich 30… 😅
      Ich bin gespannt, wie dir Fred Vargas gefällt.
      Liebe Grüße,
      Andrea

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      1. Liebe Andrea,
        das kann ich mir nur allzugut vorstellen wie du dich gefühlt hast, glaube mir. Der Vargas gefällt mir bis jetzt, S. 122, gut. So einen schrulligen Kommissar habe ich bisher noch nicht erlebt, der ist mit keinem andern zu vergleichen.
        Lieben Gruß, Ewald

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  3. Liebe Andrea,
    das klingt wirklich spannend und ich zähle ja vom Alter her schon zu den Protagonisten des Buchs. Und auch mir ist nach dem Tod meiner Mutter so schlagartig bewußt geworden, daß ich nun die älteste Generation in der Familie bin.
    Eigentlich schade, daß Liebe und Sex im Alter ein Tabuthema sind, denn die Gefühle ändern sich doch nicht, da fühlt man sich auch im Alter innerlich eigentlich keinen Tag älter als 30.
    Tja, im Alter seinen Frieden mit der Welt gemacht zu haben oder zu einer höheren Gelassenheit zu gelangen, das ist vielleicht auch eine Charakter- oder Temperamentssache, bei mir ist beides noch nicht so richtig angekommen, lach, ich reg mich noch immer über vieles in der Welt auf, zum Glück möchte ich aber auch noch immer was ändern und was tun, ich hoffe, das bleibt so!
    Ich wünsche dir einen guten Start in die neue Woche und eine gute, liebe Grüße
    Monika.

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  4. „…mit einer gewissen Ahnung, daß man seinen Platz im Leben gefunden hat und daß man seinen Frieden mit der Welt gemacht hat….“ – nachdem ich eben meinen Beitrag über schlechte Laune geröffentlich hatte, traf Dein Satzausschnitt schmerzlich.
    Ich habe meine Platzt definitiv nicht gefunden. In jungen Jahren dachte ich immer, mein Platz sei eine eigene Familie mit vier Kindern, einem schönen Eigenheim und entspanntem, sorglosen Älterwerden in geborgenem Umfeld. Doch es verlief so anders. Keine Familie, kein Eigenheim, keine Geborgenheit. Nein. Meinen Platz in diesem Leben habe ich nicht gefunden. Vielleicht ist es auch das, was mich so rastlos, ja – auch ängstlich – macht. Gehen zu müssen, ohne jemals angekommen zu sein.

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