Review: Der Speichermann

Wer noch auf der Suche nach einer Graphic Novel für lange Winternächte ist, dem möchte ich heute „Der Speichermann“ von Kai Meyer, illustriert von Jana Heidersdorf, empfehlen.

Als sich ein kleiner Junge auf den Dachboden des riesigen Landsitzes seiner Familie verirrt, macht er die Bekanntschaft eines seltsamen Alten, der behauptet, der Weihnachtsmann zu sein und versucht, den Jungen zu sich zu locken. Der Junge flieht, doch auch in späteren Jahren begegnet er dem Speichermann immer wieder, sobald er den Dachboden betritt.
Jedes Mal will ihn der Mann mit Geschenken und Versprechen zu sich locken, doch warum? Ist es wirklich der Weihnachtsmann, der während des restlichen Jahres auf dem weitläufigen Dachboden darauf wartet, das es Heiligabend wird und was kann er nur von seinem Besucher wollen?

„Der Speichermann“ basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte, die Kai Meyer in den 1990er Jahren für eine Weihnachtsanthologie schrieb. Darin stellte er sich die Frage, warum der Weihnachtsmann keine Geschenke mehr bringt und was wohl mit ihm passiert sein könnte.

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Jana Heidersdorf ist eine unheimlich talentierte Fantasy-Illustratorin mit einem schaurig schönen Stil. Sie schuf unter anderem die Bilder für die illustrierte Ausgabe von Stephen Kings „Sleeping Beauties“ und die neuen Cover der „Merle“-Reihe von Kai Meyer.

„Der Speichermann“ besticht durch eine perfekte Mischung aus der gruseligen Geschichte und den düsteren Illustrationen, die die Handlung perfekt in Szene setzen.
Das ideale Buch also für lange, kalte Nächte, in denen die Grenzen zwischen Traum und Erinnerung verschwimmen.

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Durch den düsteren Dezember

Ein wirklich seltsames Jahr geht zu Ende und niemand kann so wirklich sagen, wie das nächste weitergehen wird.
Was sich für mich im Dezember aber schon mal ändert ist, daß ich aktuell keinen Lesedruck habe, was den Podcast angeht.
Seite an Seite geht nach einer Weihnachts-Spezial-Folge erst einmal in Winterpause, was für mich bedeutet, daß ich nach neun Monaten, in denen ich fast ausschließlich für den Podcast gelesen habe, endlich einmal wieder nur für mich lesen kann, ohne mir dabei Gedanken zu machen, wie man diese Geschichte gut in fünf Minuten erzählen kann ohne zu spoilern, oder schwierige Themen nicht ausreichend oder sensibel genug zu besprechen.
Es haben sich wirklich viele Titel angesammelt, die ich angelesen und wieder abgebrochen habe, weil sich nicht wirklich in den Podcast gepasst haben, oder weil ich keine Zeit hatte, dickere Bücher zu lesen.
Jetzt habe ich mir vorgenommen, diese Romane endlich einmal alle fertig zu lesen, trotzdem gibt es auch wieder einige Titel, die ich noch unbedingt im Dezember lesen möchte. Mal sehen, wie weit ich mit meinem Stapel komme!

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Den Anfang macht ein Titel, der einfach perfekt zur Jahreszeit passt: „Winter“ von Ali Smith.
„Winter“ ist der zweite Teil ihres Jahreszeiten-Quartetts, von dem ich bereits letztes Jahr „Herbst“ gelesen habe. Die beiden Teile hängen wohl nicht direkt zusammen, Gerüchten zufolge sollen die verschiedenen Geschichten erst im letzten Band „Sommer“ zueinander finden.
Smiths Schreibstil fordert zwar definitiv meine ganze Aufmerksamkeit, trotzdem begeistern mich ihre Charaktere und ihr trockener Humor.

Deutlich leichter, aber ebenso magisch ist der Stil von Nina LaCour, deren neustes Buch „Watch Over Me“ ich mir gleich auf Englisch kaufen musste.
Vor zwei Jahren las ich ebenfalls im Dezember ihren Roman „We Are Okay“ („Alles okay“), was die perfekte Lektüre für diesen Monat war, denn die Geschichte spielte auch während eines verschneiten Dezembers, was ein unheimlich schönes Leseerlebnis war.

In „Watch Over Me“ geht es wieder um eine Außenseiterin, die eine Job auf einer abgelegenen Farm annimmt, auf der es spuken soll. Eine richtig tolle Geschichte für diese düstere Jahreszeit!

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Eine weitere mystische Geschichte ist „Piranesi“ von Susanna Clarke.
Vor 15 oder 16 Jahren las ich ihr Mammutwerk „Jonathan Strange & Mr. Norrell“, eine unheimlich umfangreiche und literarisch ansprechende Geschichte über die Rivalität von zwei Zauberern. Dank der über tausend Seiten und der unzähligen (winzig gedruckten) Fußnoten brauchte ich eine gefühlte Ewigkeit, um dieses Buch zu beenden und auch wenn es seine Längen hatte, schuf Susanna Clarke in meinem Kopf Bilder, die ich nie vergessen konnte.

In „Piranesi“ geht es um einen Mann, der in einem magischen Haus lebt, das fast in eigenes Universum (mit einem Ozean und eigenem Wetter) ist. Während meiner Quarantäne hätte ich so ein großes Haus gut gebrauchen können!

Auf „Was der Fluss erzählt“ von Diane Setterfield bin ich auch schon wirklich gespannt. Ihr Debütroman „Die dreizehnte Geschichte“ ist eines meiner Lieblingsbücher. Ihr zweites Buch „Aufstieg und Fall des Wollspinners William Bellman“ dagegen hat mich wirklich enttäuscht.
Natürlich haben es Folgewerke von persönlichen Favoriten immer schwer, vielleicht ist es also ganz gut, daß meine Erwartungen an „Was der Fluss erzählt“ nicht besonders hoch sind.

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Ein Titel in den ich leider jetzt schon sehr hohe Erwartungen setze, ist „Hard Land“, der neuste Roman von Benedict Wells. „Vom Ende der Einsamkeit“ ist eines meiner liebsten Bücher der letzten Jahre, die Messlatte liegt also extrem hoch.
Das Buch erscheint erst am 24.02.2021, aber auch wenn mein Lesestapel eigentlich schon hoch genug ist, muss es erlaubt sein, eine Neuerscheinung aus dem nächsten Frühjahr zu lesen, wenn sie von einem Lieblingsautor kommt.

Ebenfalls aus dem Hause Diogenes stammt das neue Buch von Bernhard Schlink. Ich habe zwar schon mehrere Romane von ihm gelesen, „Abschiedsfarben“ sind aber nun Kurzgeschichten.
Ich bin jedenfalls gespannt!

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Die nächsten zwei Titel könnte man wohl als Sachbücher bezeichnen, auch wenn sich „Männer in Kamelhaarmänteln“ wohl keiner eindeutigen Kategorie zuordnen lässt.
Darin erzählt Elke Heidenreich in kurzen Episoden von Kleidungsstücken, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle gespielt haben.

Mackenzie Lee hat mich letztes Jahr mit ihrer rotzfrechen Schreibe in „Kick-Ass Women“ begeistert, jetzt ist ihr neustes Sachbuch „Eine Weltgeschichte in 50 Hunden“ erschienen.
Gerade fällt mir übrigens ein, daß ich den Vorgänger bei einem außerplanmäßigen Besuch im Krankenhaus beendet habe. – Hoffentlich bleibt mir das bei diesem Buch erspart!

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Und dann gibt es auch noch zwei weihnachtliche Titel.

„Das Wunder von R.“ von Francesca Cavallo (der Co-Autorin von „Good Night Stories for Rebel Girls“) ist gerade im neuen Mentor Verlag erschienen.
Besonders schön: In dieser Weihnachtsgeschichte ab 8 Jahren geht es um eine Familie mit zwei Mamas.

Deutlich gruseliger kommt dagegen die Graphic Novel „Der Speichermann“ von Kai Meyer – illustriert von Jana Heidersdorf – daher.
Ehrlich gesagt habe ich schon beim Durchblättern ein bißchen Angst bekommen, aber die Illustrationen sind auch ganz wunderbar schaurig.

Mal sehen, wie weit ich mit all den neuen Büchern und dem halb gelesenen Stapel komme. Ich wünsche euch allen jedenfalls eine schöne Vorweihnachtszeit!

Eure Andrea

Review: Schwarze Seerosen

Michel Bussi ist Krimilesern von Titeln wie „Das Mädchen mit den blauen Augen“ oder „Fremde Tochter“ bestimmt ein Begriff. Eines seiner früheren Werke „Nymphéas noirs“ („Schwarze Seerosen“) ist zwar bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden, allerdings dank des Splitter Verlags nun als Graphic Novel auch für die deutschsprachige Leserschaft erhältlich.

Wer sich – wenn auch nur kurz – mit dem französischen Impressionisten Claude Monet beschäftigt hat, der wird auch den Namen Giverny schon einmal gehört haben. In diesem kleinen Dorf lebte und arbeitete der Künstler viele Jahre lang; hier legte er den Seerosenteich an, an dem er seine berühmtesten Bilder malte.

In ebendiesem idyllischen Dörfchen geschieht ein Mord. Der wohlhabende Augenchirurg Jéròme Morval wird tot in einem kleinen Bach gefunden: erschlagen, erstochen und ertränkt… Jemand muss folglich einen großen Hass auf diesen Mann gehabt haben.
Die Ermittler stoßen auch schon bald auf ein mögliches Motiv, denn Morval war ein Frauenheld, der viele Affären hatte. Könnte es sein, daß seine Ehefrau, ein eifersüchtiger Ehemann oder eine verlassene Geliebte den Mord begangen hat?
Doch auch andere Motive kommen in Frage. So war es Morvals größter Wunsch, einen echten Monet zu besitzen. Ist er deshalb mit zwielichtigen Kreisen in Kontakt gekommen?
Und was hat es mit der geheimnisvollen Postkarte auf sich, die in der Jackentasche der Leiche gefunden wurde? Darin wird jemandem zur 11. Geburtstag gratuliert, doch wem?
Als die Polizei herausfindet, daß in den 1930er Jahren an der gleichen Stelle ein elfjähriger Junge tot aufgefunden wurde, wird die Verwirrung immer größer.
Hängen die beiden Todesfälle irgendwie miteinander zusammen?

„Schwarze Seerosen“ beginnt fast wie ein Märchen:
„In einem Dorf lebten drei Frauen… Die erste war böse… Die zweite eine Lügnerin… Die dritte eine Egoistin…“
Die drei Frauen, um die es geht, könnten unterschiedlicher nicht sein. Die erste ist eine über achtzigjährige Witwe, „zumindest fast“, wie sie sagt, die im Turm der „Hexenhaus“ genannten Mühle lebt und als stumme Beobachterin mehr weiß, als sie preisgibt.
Die zweite Frau ist Mitte dreißig und in einer unglücklichen und kinderlosen Ehe gefangen.
Die dritte im Bunde ist ein elfjähriges Mädchen, die das Malen liebt und davon träumt, eines Tages an einer angesehenen Kunsthochschule zu studieren.
Alle drei haben eines gemeinsam: Sie wollen weg aus Giverny und ihrem alten Leben, und alle drei werden in den Ermittlungen um den Mord eine große Rolle spielen…

„Schwarze Seerosen“ hat mich absolut begeistert. Die Geschichte ist großartig inszeniert und auch wenn den Leser hin und wieder eine leise Ahnung beschleicht, wie alles zusammenhängen könnte, begreift man wirklich erst ganz am Schluss, was da eigentlich passiert ist. Das als Graphic Novel umzusetzen, muss eine große Herausforderung gewesen sein, die aber perfekt gelungen ist.

Krimis sind ja meist keine Bücher, die man zweimal liest, schließlich kennt man dann die Lösung schon, doch im Fall der „schwarzen Seerosen“ lohnt es sich absolut, die Geschichte noch einmal zu lesen um zu begreifen, wie gekonnt man hier von Autor Michel Bussi, sowie Fred Duval und Didier Cassegrain, die für die Adaption zur Graphic Novel verantwortlich waren, in die Irre geführt worden ist.

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Die Illustrationen fangen die Stimmung in dem verschlafenen Dörfchen ganz wunderbar ein und nutzen gelegentlich auch bekannte Motive von Monet, um die Handlung der Geschichte darin einzubetten.
Beim Blättern bekommt man jedenfalls sofort Lust, seine Sachen zu packen und Giverny einen Besuch abzustatten.

„Schwarze Seerosen“ ist für mich eine der gekonntesten und besten Romanadaptionen, die ich in dieser Form gesehen habe.
Für mich ein absolutes Highlight und eine ganz große Leseempfehlung!

Dezember

Jedes mal, wenn ich meinen aktuellen Monatsstapel vorstelle, denke ich mir: „Es kann doch gar nicht sein, daß es schon wieder September, Oktober, November… ist!“
Jetzt also Dezember!
Wohin ist dieses Jahr nur verschwunden?
Es kommt mir so fast vor, als wäre mein Sommerurlaub erst vor wenigen Wochen zu Ende gewesen…

In den letzten Wochen und Monaten haben sich einige Titel angesammelt, die noch vor Jahresende gelesen und rezensiert werden wollen, deshalb habe ich mir für den Dezember nicht allzuviel vorgenommen.
Man will ja schließlich keinen riesigen SUB mit ins neue Jahr nehmen…

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Drei Romane haben mich diesen Monat angelacht.

Mit dem „Tagebuch eines Buchhändlers“ habe ich schon im letzten Jahr auf Englisch geliebäugelt, dann erschien es im Sommer auf Deutsch, doch das recht winterlich anmutende Cover hat es mich bis zum Dezember aufschieben lassen.
Autor Shaun Bythell ist selbst Buchhändler und mit Booktuberin Jen Campbell befreundet, deren Empfehlungen ich ja immer sehr schätze.
Hoffentlich wird es mir im Weihnachtsgeschäft nur nicht zu viel, auch noch in meiner Freizeit von einer Buchhandlung zu lesen!

Ein Titel, auf den ich mich schon sehr freue ist „Das Geheimnis von Shadowbrook“ von Susan Fletcher.
Hier haben wir es mit einem literarischen historischen Roman zu tun, der zu Beginn des Ersten Weltkriegs spielt.
Ich hoffe auf einen Titel, der mich ähnlich wie „Die Schlange von Essex“ oder Tracy Chevaliers frühe Romane begeistern kann.

Ein weiterer Roman, der sich unheimlich spannend anhört und der mir auf der Buchmesse empfohlen wurde, ist „Die Einsamkeit der Seevögel“ von Gøhril Gabrielsen.
Vor der Messe hatte ich ja einige norwegische Autoren gelesen und die Art und Weise, wie hier düstere Themen auf sehr eindringliche Weise geschildert werden, zu schätzen gelernt.
In „Die Einsamkeit der Seevögel“ begleiten wir eine Wissenschaftlerin in die winterliche Einöde an der Küste Norwegens, wo sie nicht nur auf Vögel, sondern auch ihren Geliebten wartet…
Das Setting erinnert mich an Amy Liptrots autobiografischen Roman „Nachtlichter“, der mich seinerzeit zwar nicht ganz überzeugen konnte, dessen Naturbeschreibungen mich allerdings unheimlich beeindruckt haben.

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Zwei weitere Bücher widmen sich spannenden Gedankenexperimenten.

In Ian McEwans neustem Roman „Die Kakerlake“ nimmt er die aktuelle politische Situation in Großbritannien aufs Korn, indem er Kafkas „Verwandlung“ auf den Kopf stellt und eine unbescholtene Kakerlake eines Morgens im monströsen Körper des britischen Premierministers erwachen lässt.

Gleich elf Gedankenspiele bietet „2029 – Geschichten von Morgen“, ein Erzählband, in dem elf Autoren, darunter prominente Namen wie Vea Kaiser und Thomas Glavinic ihre Vorstellungen von unserer Welt in zehn Jahren zu Kurzgeschichten verarbeitet haben.

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Zum Schluß gibt es diesen Monat ganze drei Graphic Novels.

Aus der Reihe „Die Unheimlichen“ aus dem Carlsen Verlag erschien jetzt Sophokles‘ „Antigone“ mit Illustrationen von Olivia Viehweg und außerdem ganz neu: „Der goldene Kompass“ nach dem Roman von Philip Pullman, illustriert von Stéphane Melchior und Clément Oubrerie.
Ich muss zu meiner Schande gestehen, daß ich mit der „His Dark Materials“-Reihe nie so richtig warm geworden bin, was mich selbst ein wenig ärgert, weil ich weiß, wie viele Menschen, deren Empfehlungen ich sehr schätze, diese Bücher lieben.
Vielleicht schafft es ja die Graphic Novel, mich doch noch für die Romane zu begeistern.

Zu guter Letzt liegt noch „Schwarze Seerosen“ auf meinem Lesestapel, ein Krimi der in Giverny spielt, dem Dorf, in dem Monet seine berühmten Seerosenbilder gemalt hat.
Michel Bussis Roman, auf dem diese Graphic Novel basiert, ist bisher noch nicht auf Deutsch übersetzt worden, schön also, das die Geschichte nun über die Umsetzung von Didier Cassegrain und Fred Duval ihren Weg zu uns findet.

Euch allen wünsche ich eine schöne Adventszeit, egal ob Ihr Weihnachten feiert, oder nicht.
Und weil es schnell recht stressig werden kann, lasse ich Euch heute nochmal meine Tipps für halbwegs stressfreies Einkaufen im Weihnachtsgeschäft da.

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Willkommen im Weihnachtswahnsinn

Kommt gut durch die Zeit!

Eure Andrea

 

Review: Victor Hugo – Im Exil

„Der Glöckner von Notre-Dame“ und „Les Misérables – Die Elenden“ sind wohl Titel, von denen jeder schon einmal gehört hat. Über das Leben ihres Autors Victor Hugo wusste ich allerdings bis vor kurzem so gut wie gar nichts; das heißt, bis ich diese Graphic Novel las.

In „Victor Hugo – Im Exil“ vermischen Esther Gil und Laurent Paturaud Realität und Fiktion zu einer sowohl spannenden, als auch interessanten Geschichte.

Nachdem sich Charles Louis Napoléon Bonaparte nach einem Staatsstreich zunächst zum Präsidenten auf Lebenszeit und später zum Kaiser erklären lies, wurde Victor Hugo, der ihn dafür scharf kritisierte, aus Frankreich verbannt.
Die Jahre des Exils verbrachte er auf den britischen Kanalinseln, wohin mehrere Regimegegner geflüchtet waren. Trotz der Verbannung war Hugo politisch äußerst aktiv und versuchte, mit engagierten Briefen auf die Mächtigen einzuwirken.
Ein schwerer Schicksalsschlag war der Tod seiner Tochter Léopoldine, die ertrank, nachdem ihr Ausflugsboot gekentert war. Ihr Ehemann starb bei dem Versuch, sie zu retten.
Soweit die historischen Fakten.

„Victor Hugo – Im Exil“ beginnt zehn Jahre nach diesen Ereignissen. Hugo lebt gemeinsam mit anderen Exilanten auf der Insel Jersey und hat den Tod von Léopoldine immer noch nicht verwunden. Gemeinsam mit Auguste Vaquerie, dem Bruder von Léopoldines ebenfalls ertrunkenem Ehemann, beginnt man, Séancen abzuhalten, um Kontakt zu den Seelen der Verstorbenen aufzunehmen.
Eines Abends erscheint dann tatsächlich Léopoldines Geist und fragt, warum sie sterben musste.

Hugo beschließt, trotz der Verbannung nach Frankreich zu reisen, um nachzuforschen, ob vielleicht doch mehr hinter dem Tod seiner Tochter steckt, als nur ein Unfall.
Schon bald findet er tatsächlich Ungereimtheiten und Hinweise, doch auch die Spione Napoléons III. haben ihre Augen und Ohren überall…

Diese Graphic Novel beeindruckt nicht nur durch ihre aufwendigen Illustrationen, sondern auch durch die Verdichtung historischer Fakten und moralischer Fragen, die in einen spannenden Kriminalfall eingebettet wurden.

Obwohl die Geschichte von „Victor Hugo – Im Exil“ in erster Linie erfunden ist, orientiert sie sich doch im Großen und Ganzen an wahren Ereignissen und so erfährt man viel über die damalige Zeit und die progressiven Ansichten eines außergewöhnlichen Autors.

Ein absoluter Tipp für alle Fans von phänomenal illustrierten Graphic Novels!

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Ab in den Urlaub im August!

Willkommen im August!
Unfassbar, wie schnell das Jahr vergeht… Die Kinder haben jetzt Ferien und ich werde in anderthalb Wochen meinen Sommerurlaub beginnen.
Traditionell ist das der Monat des Jahres, in dem ich am wenigsten lese. Immerhin müssen die Kinder bespaßt werden und der Kleinste ist eindeutig noch zu klein, um ihm im Schwimmbad oder am See seinem Schicksal zu überlassen. Für drei Wochen werde ich auch nicht in die Arbeit Pendeln, was meine Lesezeit dann doch stark einschränkt.
Natürlich ist es aber auch die Zeit des Jahres, in der sich meine Regale unter den ganzen Leseexemplaren biegen, die gelesen werden wollen, um den Kunden dann die wichtigsten Neuheiten empfehlen zu können.

Diesen Herbst finde ich unheimlich spannend; wir haben wenige große Namen in den Programmen, dafür aber sehr vielversprechende Debütanten und Autoren, die schon vor ein paar Jahren ein erstes erfolgreiches Buch veröffentlicht haben und nun beweisen müssen, daß sie keine One Hit Wonder sind.

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Ein Backlist-Titel hat sich dann aber trotz der ganzen Novitäten eingeschlichen:
Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse von Thomas Meyer stand schon lange auf meiner Liste, jetzt kam gerade die wunderschön illustrierte Ausgabe der Büchergilde Gutenberg auf den Markt.
Also schnell her damit, bevor Mitte September der zweite Teil „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“ bei Diogenes erscheint!

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Für den Podcast haben sich mein Kollege Andi und ich dann wieder auf zwei Titel geeinigt, die wir gemeinsam lesen und besprechen werden: Auf Erden sind wir kurz grandios von Ocean Vuong und Wir von der anderen Seite von Anika Decker.

Auf den ersten Blick haben die Titel vielleicht nicht viel gemeinsam, aber beide Autoren bringen schon Erfahrung mit, auch wenn dies ihre ersten Romane sind. Ocean Vuong hat sich in den USA bereits einen Namen als Lyriker gemacht, während Anika Decker als Drehbuchautorin hinter Filmen wie „Keinohrhasen“ steht.
Beide Autoren verarbeiten in ihren Büchern außerdem sehr persönliche Erfahrungen: Ocean Vuong schreibt über die Suche nach seiner Identität als homosexueller, vietnamesischer Einwanderer und Anika Decker setzt sich mit ihrer lebensbedrohliche Erkrankung und dem Kampf zurück ins Leben auseinander.

Mit Wir von der anderen Seite habe ich übrigens schon angefangen (obwohl ich meine Monatsstapel traditionell wirklich erst am Ersten des Monats beginne, aber ich brauchte dringend einen Ausgleich zu all den traurigen Büchern im letzten Monat) und bin unheimlich begeistert von Anika Deckers feinfühligem Humor.

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Zwei Titel, auf die ich schon sehr gespannt bin sind „Das Licht ist hier viel heller“ von Mareike Fallwickl und „Miroloi“ von Karen Köhler.
Mareike Fallwickl hatte ja mit Dunkelgrün fast schwarz ein wirklich aufsehenerregendes Debüt hingelegt, das mich sehr beeindruckt hat, Karen Köhler hat sich mit dem Erzählband „Wir haben Raketen geangelt“ einen Namen gemacht.

Vor Kurzem traf ich Karen Köhler bei einem wirklich netten Abendessen zu dem der Hanser Verlag eingeladen hatte und ich war sofort gefangen von der Lesung, die die Autorin da hingelegt hat. Da hat sich die Schauspielausbildung gelohnt!

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Zwei weitere Romane, auf die ich schon sehr gespannt bin sind „Der Sprung“ von Simone Lappert, auf den ich mich freue, seit die fabelhaften Diogenes-Damen auf der Leipziger Buchmesse von diesem Titel erzählt haben. Jetzt darf das Buch mit in den Urlaub!
Außerdem hört sich der Debütroman „Schöner als überall“ von Kristin Höller sehr vielversprechend an!

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Ein weiterer Titel, der mit in den Urlaub darf, ist „Fünf Lieben lang“ von André Aciman. Ich muss zugeben, daß ich immer noch nicht dazu gekommen bin, „Call Me by Your Name“ zu lesen und auch den Film habe ich bisher nicht gesehen. Dann beginne ich wohl einfach mit Acimans neustem Roman, während sein bekanntestes Buch weiterhin auf meiner Lesen!-Liste steht.

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Als illustriertes Sachbuch freue ich mich diesen Monat sehr über „Die wundersamen Zwölf – Kuriose Säugetiere, die tatsächlich existieren“ von Rae Mariz und der Künstlerin Moki, deren Graphic Novel „Sumpfland“ ich ja vor Kurzem vorgestellt habe.
Darin werden wirklich seltsame Geschöpfe, wie der Langschnabeligel oder der Wüstengoldmull vorgestellt und natürlich darf auch das Schuppentier nicht fehlen! Immerhin ist es das Verlagsmaskottchen des fabelhaften Reisedepeschen Verlags.

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Literarisch wird es dann bei den Graphic Novels.
Der Künstler Andreas Eikenroth hat sich nämlich Georg Büchners „Woyzeck“ vorgenommen und grafisch inszeniert. Dabei hat er den Text ein wenig modernisiert und auch die Handlung vom Anfang des 19. Jahrhunderts in die Weimarer Republik geholt.
Für mich war der „Woyzeck“ ja als Schullektüre ein Graus, diese Umsetzung gefällt mir allerdings sehr gut!

Und im Splitter Verlag erschien nun „Victor Hugo – Im Exil“ von Esther Gil und Laurent Paturaud. Darin wird die Entstehungsgeschichte von „Les Misérables“ zwar fiktiv geschildert, allerdings haben sich die Autoren wohl an realen Ereignissen orientiert.
Ich bin gespannt!

Ganz schön viel vorgenommen habe ich mir da, hoffentlich komme ich wenigstens halbwegs zum Lesen!

Was liegt auf Euren Lesestapeln und auf welche Neuerscheinungen freut Ihr Euch in diesem Herbst schon am meisten?

Ich wünsche Euch einen sonnigen August,
Eure Andrea

Review: Nennt mich Nathan

Eine Graphic Novel zu einem spannenden Thema möchte ich Euch heute ans Herz legen: „Nennt mich Nathan“ von Catherine Castro und Quentin Zuttion aus dem Splitter Verlag.

An sich hat Lila eine schöne Kindheit, auch wenn es immer wieder Situationen gibt, die sie ärgern: wenn ihre Oma ihr eine rosa Tasche statt eines Taschenmessers schenkt, oder wenn ihre Mutter sie bittet, ein schickes Kleid anzuziehen.
Doch als ihr Körper anfängt, sich in der Pubertät zu verändern, nehmen Angst und Selbsthass überhand. Denn für Lila ist klar, daß sie kein Mädchen ist.

Aus Lila wird Nathan; ein Schritt, der vor allen Dingen Nathans Familie ratlos zurücklässt. Die Mutter sorgt sich, der Vater glaubt an eine Phase, der kleine Bruder vermisst seine große Schwester…
Doch Nathan weiß, daß er nur glücklich werden kann, wenn er seinen eigenen Weg geht.
Zusammen mit der Hilfe seiner anfangs noch zögerlichen Eltern und Freunde, Experten und Beratern beginnt Nathan seine Reise, um endlich er selbst sein zu können…

Bis vor anderthalb Jahren hatte ich mich nicht groß mit dem Thema Transidentität beschäftigt. Ich hatte eher zufällig die ein oder andere Doku gesehen und war bei YouTube über die sehr bewegende Rede von Lana Wachowski gestolpert, die sie gab, als ihr der HRC Visibility Award verliehen wurde.

Danach hatte ich zwar immer noch keine Ahnung, wie eine Geschlechtsangleichung nun wirklich abläuft, aber ich wurde mir der Tatsache bewusst, daß die Selbstmordrate bei Trans Teenagern erschreckend hoch ist.

Vor anderthalb Jahren dann erklärte eine liebe Bekannte, daß es eine kleine Veränderung im Familienleben geben würde: von nun an hätte ihr Kind einen männlichen Vornamen und würde in Zukunft als Junge leben.
Unsere Söhne sind im selben Alter. Wir haben nicht viel Kontakt, sehen aber auf Facebook, wie die Kinder langsam größer werden.
Mich überraschte dieser Schritt nicht besonders, denn im Laufe der Jahre war das kleine Mädchen langsam aus den Fotos verschwunden und von einem selbstbewussten, lustigen Jungen abgelöst worden.
Dennoch berichtete meine Bekannte von Unverständnis in ihrem Bekanntenkreis und auch wenn ich die Entscheidung der Familie absolut nachvollziehen konnte, musste ich mich selbst über Geschlechtsangleichungen schlaumachen.

Als ich deshalb „Nennt mich Nathan“ sah, war ich sofort begeistert, daß man dieses Thema so greifbar und ehrlich in Szene gesetzt hat.
Nicht nur Nathan kommt zu Wort, sondern auch sein Bruder und seine Eltern, und so schwankt man als Leser immer wieder zwischen Nathans Wunsch nach Veränderung und der Angst, die die Familie vor eben dieser Veränderung hat.

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Die Geschichte wurde in einem reduzierten Stil illustriert: einfache Tuschezeichnungen, die recht flächig koloriert wurden.
Trotzdem taucht man schnell ab in Nathans Geschichte und durchlebt Höhen und Tiefen mit ihm und seiner Familie.

Ich bin ja immer sehr dankbar, wenn Verlage Themen aufgreifen, die nicht gerade Mainstream sind und Bücher machen, die vielleicht nur eine recht kleine Zielgruppe ansprechen, für die es aber unglaublich wichtig ist, gesehen und gehört zu werden.
In diesem Sinne: auch (oder vielleicht besonders) wenn ihr Euch noch nie mit dem Thema Transidentität beschäftigt habt, werft einen Blick in diese wunderbare Graphic Novel!

Sonnige Lesetage im Juni

Heute Morgen bin ich schon viel zu früh wach, aber die Sonne scheint so schön durch mein Fenster und der Tag schreit förmlich danach, im Schwimmbad verbracht zu werden.
Doch vorher ist noch Zeit, Euch meinen Lesestapel für den Juni vorzustellen.

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Seit ich in der neuen Filiale arbeite, lesen zwei liebe Kollegen und ich ganz zufällig meist die gleichen Bücher zur gleichen Zeit. Wolf Haas, Fred Vargas, Hilmar Klute, Takis Würger, Vea Kaiser, Joel Dicker und zuletzt Friedemann Karig… die Neuerscheinungen dieser Autoren landeten irgendwie immer auf den Lesestapeln von mindestens zwei, wenn nicht gar allen dreien von uns.
Das ist dann auch immer ein schöner Anlass, nach der gemeinsamen Abendschicht noch etwas trinken zu gehen und sich über das aktuelle Buch zu unterhalten. Wir haben zwar einen sehr ähnlichen Geschmack, gehen aber oft völlig verschieden an die Titel heran.
Bei mir muss das Bauchgefühl stimmen, der eine Kollege analysiert und fertigt mitunter schon mal Hefteinträge an, um seine Meinung zu unterstreichen (kein Wunder, immerhin wird er bald Lehrer) und der andere Kollege wird dann zum Schlichter, wenn wir uns gar nicht einigen können.
Ihr merkt schon: ich liebe diesen kleinen, unorganisierten Lesekreis!

Auch diesen Monat wird wieder ein Buch ganz zufällig zusammen gelesen, nämlich Maschinen wie ich von Ian McEwan.
Die Kollegen haben schon damit angefangen und ich habe es nun gestern begonnen. Ich bin schon sehr gespannt, wie unsere Meinungen ausfallen werden!

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Gleich zwei Titel aus dem Hause Luchterhand haben mich vor Kurzem erreicht:
Geschichte einer Ehe von Geir Gulliksen passt ganz wunderbar in meine Leseplanung, weil ich vor der Buchmesse ohnehin noch ein paar norwegische Autoren lesen wollte und Herkunft von Saša Stanišić wurde mir jetzt schon mehrfach empfohlen, ganz besonders von einem Kollegen, der in der selben Gegend wie Stanisic aufgewachsen ist.
Bisher kenne ich nur seine Kurzgeschichtensammlung „Fallensteller“, die ist mir aber durch einen sehr angenehmen Stil in Erinnerung geblieben.
Ich freu mich drauf!

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Im Bereich Sachbuch gibt es diesen Monat gleich zwei Bücher, die sich mit dem Thema Evolution beschäftigen.

Mit Ausgestorben, um zu bleiben von Bernhard Kegel habe ich schon seit Längerem geliebäugelt, schließlich bin ich seit meiner Kindheit fasziniert von Dinosauriern und lasse auch heute noch kein Museum aus, in dem es Fossilien und Dinosaurierskelette zu bestaunen gibt.
Als ich dann die Ausgabe der Büchergilde Gutenberg gesehen habe, war ich vollkommen hin und weg! Unter dem Schutzumschlag versteckt sich nämlich nochmal ein echter Hingucker.
Hoffentlich begeistert mich der Inhalt genauso sehr wie die Aufmachung.

Als illustriertes Sachbuch ist im Juni Die Entstehung des Lebens – Evolution aus dem Prestel Verlag mit dabei. Die Illustratorin Katie Scott kennt der ein oder andere von Euch ja vielleicht von „Das Museum der Tiere“, das ebenfalls in der „Eintritt frei!“-Reihe erschienen ist. Ausserdem hatte ich letztes Jahr das von ihr illustrierte Sachbuch Von Inseln, die keiner je fand vorgestellt.

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Und natürlich darf auch diesen Monat keine Graphic Novel fehlen!
Sehr begeistert war ich, als ich in der Vorschau des Splitter Verlags Nennt mich Nathan von Catherine Castro und Quentin Zuttion entdeckte.
Darin geht es um den Transjungen Nathan und seinen Weg zur Geschlechtsangleichung, aber auch um seine Familie, die mit der Situation emotional überfordert ist.
Das Thema Transgender interessiert mich nun schon seit längerem, denn als sich der Sohn einer lieben Bekannten als trans outete, stellte ich fest, wie wenig ich eigentlich über Geschlechtsangleichungen wusste.
Ein Glück, daß es YouTube-Kanäle gibt, auf denen man sich schlau machen kann und jetzt eben auch eine sehr persönliche Graphic Novel, die auf einer wahren Geschichte beruht.

Das ist er also, der Juni-Stapel!
Ich bin sehr glücklich mit der Auswahl der Titel und freue mich, Euch bald mehr von ihnen berichten zu können.
Was liegt gerade auf Euren Lesestapeln und kennt ihr vielleicht schon das ein oder andere Buch von meinem?

Ich wünsche Euch einen ganz wunderbar sonnigen Juni!

Eure Andrea

In vollen Zügen auf der Leipziger Buchmesse 2019

Ein Geständnis am Rande: obwohl ich seit mittlerweile zwanzig Jahren im Buchhandel arbeite, war ich bisher erst einmal auf einer Buchmesse.
Es war wohl im schönen Jahr 2000, als wir damals in der Berufsschule eine Klassenfahrt zur Frankfurter Buchmesse unternahmen. Morgens hin, abends zurück und dazwischen erinnere ich mich eigentlich nur an ein Gefühl der Überforderung.
Es gab keine Ansprechpartner, ich kannte ausser meinen Klassenkameraden und Mitazubis niemanden. Also wanderte ich stundenlang durch die Gänge und wusste nicht, was ich tun sollte, oder was von mir erwartet wurde…

All die Jahre später hat sich die Situation für mich natürlich grundlegend verändert. Durch meinen Beruf, aber noch mehr durch die Bloggerei bin ich in Kontakt mit Verlagsmenschen, Autoren und anderen Bloggern, die ich nun doch endlich mal im richtigen Leben treffen wollte.
Also lies ich mich Akkreditieren, buchte ein Hotelzimmer und beschloß, mir zwei Tage Buchmesse, nämlich am Donnerstag und Freitag zu gönnen.

Mit Scharnow von Bela B im Ohr schaffte ich die vier Stunden nach Leipzig in dreieinhalb und war bereit für was immer mich auch auf der Messe erwarten würde.

Im Vorfeld hatte ich auf Instagram meine Garderobe für die Messe gepostet, so daß jeder meiner Follower, der mich gerne ansprechen wollte eine Ahnung davon hätte, wie ich aussehe. Mein Gesicht ist nämlich nicht besonders einzigartig.
Diese Taktik schien voll aufzugehen, denn noch bevor ich überhaupt das Pressezentrum gefunden hatte, hörte ich eine Stimme hinter mir rufen: „Lesen in vollen Zügen!!! Ich erkenne dich an deinem Kleid!“
Überrascht drehte ich mich um und sah Jakob Bedford, den ich vor ein paar Wochen kennengelernt hatte, als er seinen Roman „Abtrünniges Blut“ bei uns im Laden vorstellte.
Schön, gleich zu Beginn ein freundliches Gesicht zu sehen.

Danach war ich aber zunächst einmal ein wenig erschlagen von den Menschenmassen und den Ausmaßen der Messehallen… So viele Bücher sieht man auch als Buchhändlerin selten auf einem Fleck.
Schön, daß Jakob und ich ein bißchen zusammen herumschlendern konnten und ich dann auch gleich ein paar nette Gespräche am Stand von weissbooks und beim fabelhaften Mare Verlag hatte.

Anschließend traf ich Tobias vom Buchrevier und Ilja von Muromez und zusammen schauten wir bei Vea Kaiser am KiWi-Stand vorbei.
Ihre ersten beiden Bücher habe ich damals unheimlich gern gelesen und aktuell leistet mir ihr neuster Roman Rückwärtswalzer Gesellschaft beim Pendeln. Auch menschlich war ich sofort beeindruckt von ihrem selbstbewussten Auftreten und ihrer netten, direkten Art.
Wir führten ein interessantes Gespräch darüber, wie Autorinnen in Interviews oft damit zu kämpfen haben, daß ihre Weiblichkeit ständig zum Thema gemacht wird. Sie selbst wird seit der Hochzeit immer wieder nach ihrem Kinderwunsch gefragt…
In meinem Freundeskreis gehen aktuell immer mehr Frauen auf die Barrikaden, weil sie diese Frage nicht mehr hören können. Wäre schön, wenn Vea ihre gepfefferte Meinung dazu irgendwann mal niederschreiben würde.
Mich hat sie jedenfalls sofort für sich eingenommen.

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Danach schaute ich bei Harald Kiesel vom 360 Grad Verlag vorbei.
Er verlegt wirklich wunderbare illustrierte Sachbücher, die – das wissen ja vielleicht einige von Euch – einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen einnehmen.
Auch hier muss ich sagen: tolle Bücher und ein toller Mensch der dahinter steht.
Er las mir aus dem Bilderbuch Mit Opa ist alles anders, das ich hier demnächst vorstellen möchte vor, in dem das Thema Demenz für Kinder greifbar gemacht wird.
Mein eigener Opa hatte sich vor seinem Tod schon komplett vergessen und so lagen Harald und ich uns irgendwann mit Tränchen in den Augen in den Armen…
Warum war ich nochmal so lange nicht auf Messen?
Die meisten Leute hier sind wirklich wunderbar!

Und weil mich kleine Verlage, die richtig hochwertige Bücher abliefern ja tausendmal mehr begeistern, als große, elitäre Verlage, bei denen man am Stand die Worte „ordinärer Buchhändler“ dreimal in unter einer Minute hört (und nein, ich nenne keine Namen) freute ich mich umso mehr auf mein Treffen mit Marianna vom Reisedepeschen Verlag.
Wer diesen Zweimann-Verlag, der unglaublich schöne Reise-Handbücher und Bildbände herausgibt noch nicht kennt, der sollte dringend mal einen Blick auf ihr Programm werfen.
Von Marianna lies ich mir von dem Abenteuer erzählen, das es ist, einen eigenen Verlag zu gründen und dann gleich nach dem ersten Weihnachtsgeschäft mit der KNV-Insolvenz klarkommen zu müssen.
Und natürlich über Schuppentiere! Denn ein Schuppentier sind nicht nur einfach fabelhaft, es ist auch das Verlagslogo von Reisedepeschen.

Danach ging es dann auch schon weiter zum Bloggertreffen von Klett-Cotta in der R10 Bar, wo mir der beste Schokoladenkuchen der Stadt versprochen wurde und meine Güte… Es war der beste Schokokuchen meines Lebens!
Dort las unter anderem die sympathische Elisabeth R. Hager aus ihrem Roman „Fünf Tage im Mai“ und ich traf so viele andere Blogger, denen ich zum Teil schon folge, seit ich das erste Mal einen Fuß in diese Gewässer gesetzt habe, daß mir immer noch der Kopf schwirrt.
Schön war es!

Nachdem ich mich schweren Herzens von dem Schokokuchen getrennt hatte, nicht ohne ihm zu versprechen, bald wieder zu kommen, brachen wir zur Tropen-Party auf, eigentlich ein Fußweg von fünf Minuten, der sich dank der Orientierung unserer Führer zu einer halbstündigen Nachtwanderung entwickelte.
Immerhin habe ich so auch noch etwas von Leipzig gesehen!

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Auf der Tropen-Party war es dann voll, voller, am vollsten. Trotzdem waren interessante Gespräche möglich, wenn auch das Atmen mit der Zeit schwierig wurde.
Also schnell die gute Silke eingepackt und zurück ins Hotel, schließlich stand mir ja noch ein weiterer Tag bevor.

Am Freitag stand schließlich auch einiges auf dem Programm…

Mittags lud Kiepenheuer und Witsch zur Lesung mit Vea Kaiser im schicken Kongresszentrum. In ihrem neuen Buch Rückwärtswalzer erzählt Vea von der Familie Prischinger und den drei fabelhaften Tanten, die den ganzen Tag mit Kochen und Backen verbringen. Schnell wurde klar, daß sie von ihrer eigenen Familie zu dieser Geschichte inspiriert worden war, denn ihre Tante Waldtraud hatte ihr acht Kilo „Kekse“ für den Notfall mitgegeben. Und mit „Kekse“ war hier keine staubige Angelegenheit gemeint. Wir sprechen hier von Rumkrapfen und Co! Der Schokoladenkuchen vom Vortag hatte durch Tante Waldtraud ernstzunehmende Konkurrenz bekommen!
Dazu dann noch Speckchips und Wein. Nein, darben mussten wir bei Vea Kaiser bestimmt nicht!
Nebenbei erzählte sie auf ihre lustige und charmante Weise aus ihrem Leben und „Rückwärtswalzer“. Ich war begeistert!

Gleich im Anschluß fand das Bloggertreffen des Diogenes Verlags statt. Mit dabei: Daniela Krien, deren Buch Die Liebe im Ernstfall ich ja hier schon vorgestellt habe und das mich sehr bewegt hat.
Nach einem kurzem Gespräch mit Daniela Krien schrieb sie mir eine sehr persönliche Widmung, die mir viel bedeutet, ins Buch. So eine nette Autorin!

Im Anschluß legten sich die Damen von Diogenes mächtig ins Zeug und priesen das kommende Programm so an, daß ich am liebsten jetzt schon jedes Buch daraus in Händen halten würde.

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Am Galiani Stand lauerte ich dann Kat Menschik auf, deren Illustrationen ich ja sehr liebe und die mir mein Exemplar von „Essen essen“ nicht nur signierte, sondern auch mit einem selbstgemachtem Stempel verschönerte.
Wahnsinnig lieb, trotz meiner – zugegebenermaßen – etwas frechen Störung.

Weiter ging es zu Max Schlegel vom Splitter Verlag.
Seit einiger Zeit tauschen wir uns ja per Mail über Graphic Novels aus, nun war es mir eine Freude, ihn endlich einmal persönlich kennenzulernen und darüber zu philosophieren, warum sich die Graphic Novel noch so schwer tut, als ernstzunehmende Kunstform anerkannt zu werden.
Überraschende Trivia: Margaret Atwood, ja genau… DIE Margaret Atwood ist ein begeisterter Comic-Fan und schreibt für ihre eigene Superhelden-Comic-Reihe „Angel Catbird“. Wusste ich vorher auch noch nicht!

Mein letzter Termin auf der Messe war ein spontanes Treffen mit Torsten Woywod vom Dumont Verlag, mit dem ich bisher nur per Mail und Instagram in Kontakt war.
Dabei redeten wir über ein gemeinsames Lieblingsthema: Bücher über Bücher, und ich horchte ihn ein wenig zu seinem ersten Roman aus, an dem er gerade fleißig schreibt.

Danach hieß es Abschied nehmen…
Auf dem Weg nach draußen plauderte ich noch mit einer völlig entkräfteten Nicci und freute mich so, Brösels treuen Gefährten Konrad Freiherr von Keks halten zu dürfen, daß ich ihn beinahe mitgenommen hätte.

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Zurück also nach Bayern, schließlich musste ich am Samstag wieder frisch wie der junge Morgen im Laden stehen.
Was bleibt ist ein großes Gefühl der Dankbarkeit, daß ich nun nach all den Jahren doch endlich mal wieder auf einer Buchmesse war und für all die netten Menschen, die mir begegnet sind.
Egal ob Verleger, Autoren, Verlagsmenschen, Journalisten und Blogger… es war eine absolute Bereicherung, mit Euch allen zu sprechen und so viele Meinungen und Geschichten zu hören.

Also nochmal ein großes DANKE an alle, die ich kennenlernen durfte.
Bis hoffentlich ganz bald mal wieder!

Eure Andrea

Review: Das unabwendbare Altern der Gefühle

Letztes Jahr hat mich Zidrou mit Die Adoption tief berührt, nun ist gerade seine neuste Graphic Novel „Das unabwendbare Altern der Gefühle“ beim Splitter Verlag erschienen und schon auf den ersten Blick war ich von der Geschichte gefesselt…

Mediterranee ist Anfang sechzig, als ihre Mutter stirbt. Schlagartig wird ihr bewusst, daß sie nun die Älteste in der Familie ist und das, was man wohl eine „alte Frau“ nennt, auch wenn sie sich in ihrem Inneren noch lange nicht so fühlt.

Ulysses ist Ende fünfzig, als er in Frührente geschickt wird. Seine Frau ist schon vor Jahren gestorben und so sitzt er Abends oft alleine vor dem Fernseher oder einem Sudoku, dabei will er noch nicht zum alten Eisen gehören.

Mit zwei so ähnlichen Geschichten und so schicksalhaften Namen ist klar, daß sich die beiden eines Tages begegnen müssen. Und so kommt es, daß sich Mediterranee und Ulysses ineinander verlieben, sich wieder jung fühlen und ihren zweiten Frühling genießen.

Doch dann passiert etwas, womit keiner rechnen konnte und was das Leben der beiden völlig auf den Kopf stellt…

„Das unabwendbare Altern der Gefühle“ hat mich wirklich sehr bewegt und am Schluß hatte ich – wie so oft bei großartigen Graphic Novels – Tränen in den Augen.

Zunächst einmal hat mich das Thema sehr angesprochen. Über Liebe und Sex im Alter liest man nicht sehr häufig; eigentlich fiel mit spontan nur „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ ein.
Dabei zeigt Illustratorin Aimée de Jongh die Körper von Mediterranee und Ulysses wirklich ungeschönt, mit Fettpolstern, Falten und Altersflecken und trotzdem mit sehr viel Schönheit, die von ihrer inneren Haltung und dem gemeinsamen Glück ausgeht.

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„Das unabwendbare Altern der Gefühle“ ist eine wirklich schöne Graphic Novel, mit einer Geschichte, die ans Herz geht, Charakteren, zu denen man (bei mir trotz deutlichem Altersunterschied) sofort eine Verbindung aufbaut und einer Wendung, die man garantiert nicht vorhersieht.

Von mir gibt es dafür eine klare Empfehlung!