Review: Insel der Frauen

„Insel der Frauen“ aus dem Splitter Verlag ist eine Graphic Novel mit der ich schon länger geliebäugelt habe, weil ich das Thema einfach wahnsinnig spannend fand.

Als Kind verbrachte ich einen Teil der Ferien bei meinen Großeltern, die mich im Gegensatz zu heutigen Großeltern, nicht auf spannende Ausflüge mitnahmen, sondern auf die Couch packten und mir vom Krieg erzählten.
Besonders bei einem Großelternpaar hatte ich oft das Gefühl, daß sich nach 1945 nichts nennenswertes mehr in ihrem Leben ereignet hatte, so eingeschossen waren sie auf das Thema Krieg, was mich als Kind natürlich absolut überforderte.

Doch im Laufe der Jahre bemerkte ich, daß die Geschichten, die meine Großmütter zu erzählen hatten, die einsichtsvolleren und vielleicht wichtigeren Geschichten aus dieser Zeit waren.

Auch wenn „Insel der Frauen“ von Didier Quella-Guyot schon während des ersten Weltkriegs spielt, konnte ich mich gleich für eine Geschichte begeistern, in der die Frauen im Mittelpunkt stehen.

Als der Befehl zur Mobilmachung kommt, verschwinden vom einen auf den anderen Tag alle Männer zwischen zwanzig und fünfzig Jahren von einer kleinen bretonischen Insel.
Die einzige Ausnahme ist Mael, der wegen seines Klumpfußes ausgemustert wurde.
Während die Frauen versuchen, ihr Leben so gut wie möglich zu meistern und das zusätzliche Pensum der Männer zu bewältigen, wird Mael zum Briefträger befördert.
So wird der Aussenseiter plötzlich zum wichtigsten Vertrauten der Frauen, denn da viele nicht lesen können, muss Mael ihnen die Briefe ihrer Männer vorlesen und auch beantworten.
Mael lernt auf diese Weise viel über die Gefühle der Frauen und macht sich das im Lauf der Zeit zu Nutze.
Bald beginnt er die Briefe zu manipulieren und wird zum Tröstenden, den immer mehr der Frauen in ihre Betten lassen.
Mael berauscht sich regelrecht an der Macht, die er über die Frauen hat, nachdem er jahrelang von ihnen und ihren Männern als Krüppel beschimpft wurde.
Doch irgendwann neigt sich der Krieg dem Ende zu und die Situation auf der Insel wird zum Problem…

„Insel der Frauen“ hat mich sehr überrascht. Ich hatte bei diesem Titel an eine Geschichte über weiblichen Zusammenhalt und Freundschaft gedacht und nicht damit gerechnet, daß die Hauptthemen des Buches Sexualität, Verführung und auch Machtmissbrauch sind.

Zu Beginn ist man als Leser noch ganz vernarrt in Mael, doch das ändert sich im Lauf der Geschichte immer mehr.
Solche Charakterentwicklungen sind immer spannend und auch die Handlung nimmt zuweilen unerwartete Wendungen. Selbst die Solidarität unter den Frauen kommt auf eine Art und Weise daher, mit der ich nicht gerechnet hätte.

Die Stimmung und das Licht auf der Insel wird in den Illustrationen von Sébastien Morice mit warmen Tönen und recht flächigem Farbauftrag ganz wunderbar eingefangen.

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Die „Insel der Frauen“ ist eine recht sinnliche, psychologisch tiefgründige Graphic Novel in der der Leser immer wieder überrascht wird.
Schaut auf jeden Fall mal rein, wenn sie euch in die Finger fällt! 😉

Autor: Lesen... in vollen Zügen

Seit 20 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin in München und seit 2017 gibt es nun "Lesen... in vollen Zügen". Hier möchte ich euch vorstellen, welche Bücher mich gerade bewegen. Meine Beträge verfasse ich im Plauderton, eben so, wie ich auch mit meinen Kunden im Laden ins Gespäch komme. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktueller deutsch- und englischsprachiger Literatur. Aber ich bin auch ein großer Fan von schönen Illustrationen und stelle deshalb regelmäßig Graphic Novels und spannende illustrierte Sachbücher vor. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und Amélie Nothomb. Außerdem mache ich mir immer wieder Gedanken zum Thema Leseverhalten in der Rubrik Mein Leben als Leser und plaudere aus dem Nähkästchen in Bekenntnisse einer Buchhändlerin. Wem jetzt aber die Züge bei "Lesen... in vollen Zügen" zu kurz kommen, der kann gerne bei In vollen Zügen nach… vorbei schauen. Hier berichte ich von meinen Zugreisen, den Büchern, die mich dabei begleiten, den Städten die ich besuche und natürlich auch von schönen Buchhandlungen, die es dort zu entdecken gibt.

16 Kommentare zu „Review: Insel der Frauen“

  1. Ein sehr schöner Tipp von der Backlist. Leider vergesse auch immer wieder mal, dass nicht nur die brandneu erscheinenden Titel vorgestellt werden sollten. Vielen Dank daher für deinen Beitrag und ich nehme den Comic auf jeden Fall auf meine „Watchlist“ und sehe rein, wenn ich das nächste Mal im Comicbuchladen bin. Also Ende der Woche 😀

    Liebe Grüße,
    Sandra

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    1. Hihi… Bist du so jemand, bei dem der Comicverkäufer des Vertrauens nervös wird, ob dir was passiert ist, wenn du mal eine Woche aussetzt? 😉
      Ich bin mal einem Stammkunden wirklich um den Hals gefallen, weil ich schon befürchtet hatte, er ist im Krankenhaus, weil er länger nicht da war. 😂
      Liebe Grüße zurück!

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      1. Ja, das könnte auf mich zutreffen 😀 Normalerweise laufe ich jeden Freitag im Laden auf. Und wenn ich mal nicht erscheine, melde ich mich tatsächlich meist vorher ab. Ich merke gerade, dass das schon etwas schräg ist 😀
        Liebe Grüße,
        Sandra

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  2. „Einfältig aber sehr nett“ als einziger Mann auf der Insel kommt es wohl so, wie es kommen musste. Es ist aber tatsächlich spannend, ob man in der Situation nicht irgendwann falsch abbiegt und seine Stellung ausnutzt. Ich werde den Titel im Hinterkopf behalten.
    Viele Grüße
    Ariane

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  3. Diese Thematik klingt wirklich unglaublich interessant! Ich finde diese Idee wirklich originell. Ich hätte wohl auch gedacht, es ginge darum, wie die Frauen alles meistern, aber diese Wendung, das ist ja echt ein genialer Einfall ^^
    Ich habe bisher noch keine wirkliche graphic novel gelesen… Irgendwann mal eine ganz gruselige mit 17, aber ansonsten bin ich da relativ jungfräulich 😅 meinst du, der Comic wäre auch ein guter Einstieg in das Genre? Ich will mich da ja unbedingt mehr reinlesen… Ich was man auf der Buchmesse dazu findet, das sind ja ganz oft wundersame Kunstwerke!
    Liebe Grüße! ❤️

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    1. Hmmm… Also für den Einstieg empfehle ich gerne „Ein Sommer am See“ von den Tamakis. Der Zeichenstil ist sehr reduziert, aber die Beziehungen der Leute zueinander werden werden grandios dargestellt.
      Es geht um ein Mädchen, die jedes Jahr mit ihren Eltern Urlaub an einem See macht, aber in dem Jahr streiten sich die Eltern ständig, irgendwie kommt es zu Spannungen mit ihrer Freundin und sie wird Zeugin von einem Drama, das sich bei der Dorfjugend abspielt. Sehr leise, sehr reduziert und trotzdem steckt wahnsinnig viel drin.
      Und dann natürlich noch „Ein neues Land“ von Shaun Tan. Dazu hab ich was in der Rubrik Lieblingsillustratoren geschrieben. Da kannst du mal reinschauen.
      Das ist ganz große Bücherliebe! 😍

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      1. Ich habe das Gefühl, ich werde zukünftig ganz viel Geld ausgeben ^^ Hab nun mal ausführlicher in dieses Genre reingeforscht… und es gibt ja soo verdammt viele schöne Sachen! Mir kribbelts schon in den Fingern ❤

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