Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem mir klar wurde, daß etwas in der Vergangenheit gründlich schief gelaufen sein muss…
Es war wohl in der fünften Klasse, als ein Junge im Religionsunterricht kichernd Hakenkreuze in sein Heft malte, etwas, von dem ich zuvor noch nie gehört hatte.
Die Reaktion meines Lehrers darauf war so heftig und so erschüttert, daß ich versuchte, herauszufinden, was es damit auf sich hatte. Und bald schon verstand ich, daß etwas wirklich, wirklich schlimmes passiert war und vor allem, daß meine Großväter, die mit mir bastelten, spazieren gingen und scherzten, daß diese Männer damit zu tun haben mussten…
Nora Krug ist etwa so alt wie ich, auch sie hatte Großväter, die im Krieg gekämpft haben und Eltern, die diese Vergangenheit vielleicht nie richtig aufgearbeitet haben.
Als Deutsche, die mit ihrem jüdischen Ehemann in New York lebt, stolperte sie immer wieder über die Geschichte unseres Landes.
Und so stellte sie sich irgendwann die Frage, die sich vielleicht die meisten von uns schon einmal gestellt haben: Was hat meine Familie getan?
Nora reist zurück nach Deutschland, besucht Historiker, durchwühlt Archive, spricht mit Familienangehörigen und Freunden und versucht, sich ein Bild davon zu machen, in wieweit sich ihre Großeltern schuldig gemacht haben.
Dabei stößt sie auf unbequeme Wahrheiten, aber auch auf Verständnis und Vergebung.
Die Form, die Nora Krug für ihre Spurensuche gewählt hat ist eine ganz einzigartige Mischung aus Autobiografie, illustriertem Sachbuch und Graphic Novel.
Dabei verwendet sie Comicstrips, Zeitungsartikel, alte Fotos und Kollagen.
Sie schafft es, kleine, auf den ersten Blick vielleicht banale Erinnerungsfetzen in einen größeren Zusammenhang zu bringen und so ihrer Geschichte eine runde Form zu geben.
„Heimat“ war ein Buch, das mir sehr aus der Seele gesprochen hat.
Ich denke, fast jede Familie hat ihren Anteil an Mitschuldigen und Opfern…
Die Aufgabe unser Generation ist es, sie nicht gegeneinander Aufzuwiegen, sondern in Erinnerung zu behalten und einen besseren Weg einzuschlagen.
Deinen letzten Satz kann man gar nicht oft genug wiederholen, zumal einige Vertreter der Generation dieser Aufgabe gerade nicht wirklich gerecht werden.
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Ja, ich frag mich auch manchmal, was da los ist.
Ich meine… Meine Generation ist mit Büchern wie „Die Welle“ groß geworden, hat die Anne Frank Serie geguckt oder gleich ihr Tagebuch gelesen…
Da müsste doch eigentlich viel mehr Bewusstsein für die Gefahren von Extremismus da sein!
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Kommt direkt auf die Leseliste. Danke!
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Gerne! Ich freu mich immer, wenn guter Inhalt unkonventionell und kreativ rüber gebracht wird. Das ist immer einen Blick wert.
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Nichts ist schlimmer als das Vergessen (von so schlimmen Taten)
sonst kann man nicht besser handeln
Viele Grüsse
Nina
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ups, natürlich sollten auch die guten Taten nicht vergessen werden, sonst schwindet ja die Hoffnung
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Ja genau. Man braucht auch diese guten Taten, die es sicher auch in jeder Familie gab.
Es bringt ja nichts, in Schuld zu versinken. Man muss wissen, wer was getan hat, was dahinter steckte und vielleicht findet man ja in seiner eigenen Familie auch Leute, die auf ihre Art und Weise etwas positives in dieser Zeit getan haben.
So kann man dann weitergehen, ohne Selbstzerfleischung oder Verleugnung.
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»„Heimat“ war ein Buch, das mir sehr aus der Seele gesprochen hat.« Das stimmt, auch bei mir hat das Thema offene Türen eingerannt und ich bin von der künstlerischen Umsetzung begeistert. Sehr eindrucksvoll!
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