Wer meinen Podcast regelmäßig hört, der kennt meine Meinung zu den folgenden Titeln natürlich schon. Für alle anderen gibt es wieder einen ganzen Schwung an Büchern im Schnelldurchlauf.
Diesmal zeichnet sich tatsächlich sogar ein gemeinsames Thema ab: Denn in allen Titeln spielen Politik und Zeitgeschichte eine wichtige Rolle.
Marc-Uwe Kling: QualityLand 2.0 – Kikis Geheimnis
Überraschend viele Dystopien tummeln sich hier auf meinem Bücherstapel!
Die vermutlich lustigste davon ist „QualityLand 2.0“ vom „Känguru“-Erfinder Marc-Uwe Kling.
An dieser Stelle muss ich zugeben, daß ich Kling erst während des Lockdowns im April für mich entdeckt habe. Nachdem unzählige Kunden mir immer wieder „Die Känguru-Chroniken“, bzw. die Folgebände mit den Worten „Das MÜSSEN sie lesen!!!“ aus den Händen rissen, stellte ich für mich fest, daß ich die Bücher definitiv nicht lesen musste, um sie zu empfehlen; sie verkauften sich nämlich ganz wunderbar ohne meine Hilfe, und daß ich trotzig auf das Wort „muss“ reagiere.
Nachdem mir aber ein Hörbuch-Abo gesponsort wurde und ich während des Lockdowns ohnehin nicht zum Lesen kam, dafür aber ständig am Putzen war, begann ich einfach den ganzen Tag ununterbrochen Hörbücher zu hören und natürlich landete ich irgendwann auch bei Marc-Uwe Klings Gesamtwerk.
Dabei stellte ich fest, daß ich meinen Kunden unrecht getan hatte und sie mit ihrer Empfehlung absolut recht gehabt hatten.
Besonders „QualityLand“ überraschte mich mit seinem sehr überzeugenden Worldbuilding und der wirklich extrem spannenden Grundidee, die sich hinter dem oberflächlichen Delfin-Vibrator-Humor verbirgt.
In „QualityLand 2.0“ kehren wir zurück in das beste aller möglichen Länder und den Figuren aus dem ersten Teil.
Während es in Band 1 in erster Linie um die Macht der Algorithmen ging, taucht man im zweiten Teil weiter in die unvermeidlichen Konsequenzen einer Welt ein, die fast vollständig von künstlicher Intelligenz gesteuert wird.
Das schafft Marc-Uwe Kling mit soviel Scharfsinn und Humor, daß man immer wieder laut lachen muss, während sich einem zugleich die Nackenhaare aufstellen.
Nachzuhören in Folge #22 Was in Minute 4 passiert, ist ULTRAKRASS
Zoë Beck: Paradise City
Eine weitere (allerdings keine besonders lustige) Dystopie liefert Zoë Beck mit „Paradise City“, welches sie zwar schon letztes Jahr beendete, das sich aber mit seinem Erscheinen während des ersten Lockdowns ungeplant als beinahe schon prophetisch erwies.
Deutschland in einer nicht allzu fernen Zukunft: Der Klimawandel hat zugeschlagen und den Norden Deutschlands in weiten Teilen überflutet, die Menschen, die verschiedene Pandemie-Wellen überlebt haben, leben nun in Megacitys, wo es gute Infrastrukturen gibt. Auf dem Land, fernab dieser Städte ist es kaum noch möglich, normal zu leben.
Für die Journalistin Liina ist es schon fast als Zumutung, als sie einem Fall in der Uckermark nachgehen soll, bei dem eine Frau von Schakalen zerfleischt wurde. Liina arbeitet bei einem der wenigen nichtstaatlichen Nachrichtenportale und würde lieber über relevante politische Themen schreiben, als einen Todesfall, der niemanden interessiert.
Doch zurück in Frankfurt erfährt sie, daß ihr Chef vor eine einfahrende Bahn gestürzt ist. Ein Unfall, Selbstmordversuch oder Attentat?
Als eine weitere Angestellte der Nachrichtenagentur kurz darauf stirbt, wird Liina klar, daß die beiden einer brisanten Geschichte auf der Spur gewesen sein müssen und alles deutet darauf hin, daß es dabei um die Gesundheits-App geht, der Liina, die an einem Herzfehler leidet, ihr Leben zu verdanken hat…
In „Paradise City“ spricht Zoë Beck Themen an, die aktueller kaum sein könnten: Gesundheits-Apps, Pandemien, den Klimawandel und freien Journalismus.
Ein kleiner Kritikpunkt ist vielleicht, daß diese doch sehr globale Handlung mit einem Personal von nur etwa fünf Personen erzählt wird. Das wirkt ein wenig unglaubwürdig, allerdings hat sich Zoë Beck, als sie den Roman schrieb, bestimmt auch nicht träumen lassen, daß die Bevölkerung in diesem Jahr zu angehenden Experten für diese Themen werden würde.
Nachzuhören in Folge #14 Z wie Zukunftsmusik
Laura Lichtblau: Schwarzpulver
Auch ein wenig dystopisch mutet Laura Lichtblaus Debütroman „Schwarzpulver“ an, dabei ist der einzige unterschied zu unserer jetzigen Welt der, daß eine erzkonservative und rechtspopulistische Partei an der Macht ist.
Die setzt eine Meldepflicht für Homosexuelle ein, die sich am besten gleich noch umerziehen lassen sollen, fast genauso schlimm sind Alleinerziehende und die freie Meinungsäußerung ist ebenfalls eine Sache, die diese Partei deutlich eingeschränkt sehen will.
In diesem düsteren Berlin kreuzen sich zur Jahreswende die Wege der drei Protagonisten, deren Leben auf die ein oder andere Weise mit dem politischen System verknüpft sind: Da ist Burschi, die lesbisch ist, sich verliebt und nun nicht weiß, wo sie ihre Liebste treffen soll, aus Angst, von den Mitbewohnern angeschwärzt zu werden. Da ist der 19-jährige Charlie, der ein Praktikum bei einem Rap-Label macht, das von der Partei kritisch ins Auge gefasst wird und der es leid ist, nach den Regeln der Partei zu leben, und da ist Charlies Mutter Charlotte, die ihren Sohn alleine großgezogen hat und nun, da er flügge wird, langsam aber sicher den Halt im Leben verliert. Um wieder eine Aufgabe zu haben, lässt sie sich in der Bürgerwehr, die der exekutive Arm der Regierungspartei ist, zur Scharfschützin ausbilden. Nun liegt Charlotte Abends mit ihrem Gewehr auf Hochhausdächern an belebten Berliner Plätzen, um potenzielle Staatsfeinde auszuschalten…
Besonders die Figur der Charlotte hat mich in diesem Buch ungemein beeindruckt. Denn Laura Lichtblau schafft es, diesen Charakter so einfühlsam zu beschreiben, daß der Leser wirklich versteht, warum Charlotte die Dinge tut, die sie tut, auch wenn sich natürlich alles in einem selbst dagegen sträubt.
Schon alleine wegen dieser Protagonistin kann ich „Schwarzpulver“ nur empfehlen!
Nachzuhören in Folge #16 Lost Places
Mercedes Spannagel: Das Palais muss brennen
Noch mehr Geschichten mit rechtspopulistischen Parteien gefällig? – Nein?
Zugegeben, das Thema kann einen wirklich runterziehen. Mercedes Spannagel setzt dem in „Das Palais muss brennen“ allerdings sehr viel Humor entgegen.
Luise ist Jurastudentin mit einem komfortablen finanziellen Hintergrund. Dabei ist ihr gerade der wahnsinnig unangenehm, denn ihre Mutter ist die österreichische Bundespräsidentin und das ausgerechnet mit einer schrecklich rechtspopulistischen Partei.
Zu Hause rebelliert Luise ebenso kreativ wie erfolglos, doch dann beschließt ihre linksliberale Clique, daß es endlich an der Zeit ist, die Regierung zu stürzen…
„Das Palais muss brennen“ ist ein unheimlich witziger Roman, der mit einer einzigartigen, etwas verschlufften Sprache daherkommt, aber hey! – Den Großteil ihres Buches hat Mercedes Spannagel auf dem Handy getippt, während sie mit der Transsib durch Russland reiste!
Nachzuhören in Folge #20 God Save The Queenie
Maja Lunde: Als die Welt stehen blieb
Maja Lunde ist ja durch Die Geschichte der Bienen und Die Geschichte des Wassers bekannt geworden, doch während sie am vierten Teil ihres Klima-Quartetts schreibt, passiert etwas, das ihr Leben und das von wohl allen Menschen auf der Welt aus der Bahn wirft: die Corona-Pandemie.
Als Norwegen in den Lockdown geht und Majas Welt auf ihren Computer, das Handy und das Haus mit ihrem Mann und den drei Söhnen zusammenschrumpft, beginnt sie sich zu fragen, wo ihr Platz im großen ganzen ist. Darf man von den Kindern genervt sein, die keine Schularbeiten machen wollen, wenn da draußen Menschen sterben?
Diesen Fragen geht sie in ihrem Lockdown-Tagebuch nach, sie betrachtet die Ereignisse in der Welt und beobachtet die Dynamik ihrer eigenen Familie.
Natürlich haben wir, glaube ich, mittlerweile alle genug von diesem Thema, doch „Als die Welt stehen blieb“ hat mir wirklich unheimlich gut gefallen, denn weil Maja Lunde so ehrlich über ihre eigenen Gefühle spricht, fällt es leichter, sich selbst ein wenig zu sortieren.
Nachzuhören in Folge #23 So düster wie das Wetter
Jan Böhmermann: Gefolgt von niemandem, dem du folgst
Ein weiteres Tagebuch, das allerdings genau da abbricht, wo Maja Lunde ansetzt, ist das Twitter-Tagebuch von Jan Böhmermann: „Gefolgt von niemandem, dem du folgst“.
Hier finden wir seine Tweets von 2009 bis zum Februar 2020, die Kommentare der Fans und der Hater, ziemlich verrückte Diskussionen mit Stars und Politikern und manchmal auch einfach nur ganz profane Aussagen wie: „Hunger!“
Dabei kann man mitverfolgen, wie Böhmermann einerseits immer politischer wird, andererseits aber auch, wie sich Twitter verändert und im Laufe der Jahre immer mehr Hasskommentare dazu kommen.
Beim Lesen denkt man sich immer wieder: „Stimmt, da war ja was!“ und erinnert sich an kleinere oder größere Polit- oder Promiskandale. Durch die Form erlebt man alle Geschehnisse wieder ganz unmittelbar, kann aber auch in den zahlreichen Fußnoten herausfinden, wie sich manche Geschichten dann letztendlich entwickelt haben.
Nachzuhören in Folge #22 Was in Minute 4 passiert, ist ULTRAKRASS