Review: Mein Ein und Alles

„Mein Ein und Alles“ von Gabriel Tallent ist wohl ein absolutes Love-it-or-Hate-it-Buch. Von so vielen Lesern hatte ich gehört, daß sie es gar nicht aus der Hand legen konnten, während andere es nach dem ersten Kapitel abbrechen mussten.
Nachdem ich wirklich nur diese extremen Meinungen und nichts dazwischen gehört hatte, musste ich mir jetzt doch noch ein eigenes Bild machen, bevor ich von der Flut der Herbstnovitäten mitgerissen würde…

Julia – genannt Turtle – lebt zusammen mit ihrem Vater Martin abgeschieden in den Wäldern Kaliforniens. Ihre Mutter starb, als Turtle noch sehr klein war, ihre einzige Bezugsperson neben Martin ist ihr Großvater, der in einem Wohnwagen auf dem Grundstück lebt, aber seine Tage meist mit Trinken verbringt.
In die Schule geht Turtle nur lustlos; sie hat kein Interesse daran, sich mit Gleichaltrigen anzufreunden und auch ihre Noten sind schlecht. Schließlich sieht sie keinen Sinn darin, Algebra oder Fremdwörter zu lernen, wenn es wichtigeres gibt…
Denn Martin ist davon überzeugt, daß die Gesellschaft kurz vor dem Kollaps steht und bereitet seine Tochter auf das Unausweichliche vor. In ihrem schäbigen Holzhaus bunkern Turtle und ihr Vater Konserven, Benzin und Waffen, um für den Zusammenbruch vorbereitet zu sein, ihre Freizeit verbringt Turtle mit Schießübungen.

Martin tut alles, um seine Tochter für die Zukunft hartzumachen, und dabei schreckt er vor nichts zurück. Auch die Art und Weise, wie er seine Liebe zu ihr beweist, ist mehr als schockierend.

Erst als Turtle in den Wäldern auf die Freunde Jakob und Brett stößt, die sich verirrt haben, beginnt sie zu begreifen, daß es für sie eine Zukunft ohne die ständige Kontrolle und den Zugriff ihres Vaters geben könnte. Doch als Turtle zu rebellieren beginnt, fängt die Situation mit Martin an, zu eskalieren…

Zunächst einmal: ich kann wirklich jeden verstehen, der dieses Buch nach dem ersten Kapitel abgebrochen hat. „Mein Ein und Alles“ ist wohl eines der härtesten Bücher, die ich je gelesen habe, aber ich bin, um ganz ehrlich zu sein, auch sehr zart besaitet.
Trotzdem konnte ich es einfach nicht weglegen. Die Geschichte entwickelte eine regelrechte Sogwirkung auf mich, auch wenn ich später im Buch immer wieder zu kämpfen hatte und mich stellenweise dabei ertappte, wie ich beim Lesen die Augen zusammenkniff. Das funktioniert zwar gut, wenn man einen brutalen Film sieht, nicht aber beim Lesen, und so schwankte ich gegen Ende oft zwischen Abbruch und dem Bedürfnis, die Geschichte endlich zu einem  – hoffentlich guten – Ende zu bringen.

Ich weiß, daß es sich nicht so anhört, als wollte ich Euch dieses Buch schmackhaft machen, aber es war für mich definitiv eines der besten und intensivsten Leseerlebnisse der letzten Monate.

Wenn Ihr zu den Leuten gehört, die Trigger-Warnungen brauchen, dann lasst besser die Finger von diesem Buch, denn dann müsste ich sagen: „Alles, was Euch irgendwie triggern könnte, wird hier passieren!“.
Und trotzdem konnte ich „Mein Ein und Alles“ nicht aus der Hand legen.
Love it or hate it… Obwohl ich jeden verstehen kann, der dieses Buch abbricht, bin ich wirklich verdammt froh, es gelesen zu haben.

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Sommerlese im Juli

Morgen ist schon wieder der erste Juli und das halbe Jahr ist vorbei!
Unglaublich, wie die Monate geradezu vorbeifliegen…

Wir Buchhändler stecken gerade zwischen dem Frühjahrsprogramm und den neuen Herbstvorschauen. Wir schwanken von „Oh, das wollte ich eigentlich noch lesen!“ über „Hach, das ist gerade erschienen, darauf hab ich ja schon gewartet!“ zu „Waaah… woher kommen denn jetzt schon all die Herbst-Novitäten, die da plötzlich in meinem SUB-Regal liegen?!?“.

Auch bei mir ist es diesen Monat eine Mischung aus „Solltest du doch schon kennen!“ und „Na, jetzt komm aber mal in die Gänge mit den Neuheiten. Bis zum Weihnachtsgeschäft musst du das Herbstprogramm einigermaßen abgegrast haben!“.
Und auch wenn sich das jetzt nach Stress anhört: ich liebe es, dieser Tage in der Sonne zu liegen und zu lesen und dabei all die spannenden Neuheiten zu entdecken, die demnächst auf den Markt kommen werden.

Fangen wir aber zunächst mal mit den Titeln der Rubrik „Immer noch nicht gelesen?“ an.

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Ich habe tatsächlich erst vor kurzem meinen ersten Roman von Elena Ferrante gelesen. Der Hype um die Neapolitanische Saga hat mich zwar immer abgeschreckt, jetzt muss ich aber doch mal reinlesen, nachdem mich Frau im Dunkeln so positiv überrascht hat.
Als einziges Taschenbuch diesen Monat wird Meine geniale Freundin mein treuer Begleiter fürs Schwimmbad.

Zwei Titel, die nicht auf meiner Leseliste standen, als sie Ende letzten Jahres, bzw Anfang diesen Jahres erschienen sind, sind Mein Ein und Alles von Gabriel Tallent und Jesolo von Tanja Raich.
Nachdem ich aber auf allen Kanälen nur begeisterte Stimmen zu diesen Romanen gehört habe, war ich allerdings doch noch neugierig geworden!

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Ein Buch, zu dem ich keine begeisterten Stimmen hörte, ist dagegen Liebe in Lourdes von Sophie von Maltzahn. Im Rahmen einer Blogger-Aktion wurde mir dieses Buch überraschend zugesandt und nachdem ich zunächst dachte: „Oje… so ein kitschiger Titel!“, dann den Klappentext las und dachte, daß diese Geschichte durchaus Potential haben könnte, stolperte ich über die Rezension von Alexandra vom Read Pack Blog.
Ihr Beitrag ist wirklich ziemlich lesenswert: ihr findet ihn hier.

Sie kritisiert darin sehr scharf, wie Menschen mit Behinderung in diesem Buch dargestellt werden und nachdem, was sie dazu sagte und ich entsprechende Textstellen aus dem Buch gelesen hatte, wollte ich es eigentlich lieber weggeben.
Dann schrieb ich aber ein bißchen mit Alexandra und letztendlich dachte ich mir, vielleicht ist es besser, dieses Buch gerade deshalb zu lesen, um anschließend ein informiertes Feedback abgeben zu können. Schließlich kann man 2019 einfach nicht mehr über bestimmte Themen schreiben, wie man es vielleicht noch 1979 getan hat!

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Aus der „Rivers of London“-Reihe von Ben Aaronovitch gibt es auch wieder etwas Neues!
Mit The October Man ist die zweite Novella der Reihe erschienen und der Titel passt ganz wunderbar! Schließlich wird Ben Aaronovitch mein Oktober-Mann sein! – Zumindest was die Veranstaltungsorganisation bei uns im Laden betrifft, denn dann wird Aaronovitch zu einer Lesung in meine Filiale kommen!
Ich freu mich schon sehr!

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Kommen wir nun zu den ersten Herbstnovitäten dieses Jahr.
Von Stig Sæterbakken schwärmte mir Torsten Woywod von Dumont schon auf der Leipziger Buchmesse vor, Mitte Juli wird es nun endlich erscheinen.
Durch die Nacht hört sich zwar ziemlich düster an, aber Torsten hat einen Geschmack, der den meinen eigentlich immer trifft, deshalb vertraue ich seinem Urteil da gerne blind.

Ein Buch, das erst Ende August erscheint ist „Blackbird“ von Matthias Brandt.
Letzten Monat hatte ich ja schon ein bißchen von meinem kleinen, inoffiziellen Lesekreis mit zwei Kollegen erzählt, jetzt haben sich noch andere angeschlossen, so daß wir uns zu acht auf das Leseexemplar gestürzt haben!
Spannend wird es, weil mein Kollege schreibende Schauspieler absolut nicht leiden kann und dieser Zunft mit „Blackbird“ eine allerletzte Chance gibt. Das verspricht spannend zu werden!

Zwei Hinweise an dieser Stelle…

Erstens: hättet Ihr denn Lust, daß ich hier auch von dem Lesekreis mit meinen Kollegen erzähle, sie Euch ein bißchen vorstelle und statt einer normalen Rezension zu dem Buch all die verschiedenen Meinungen von uns sammle?

Zweitens: mir ist bewusst, daß ich oft der Kollege schreibe, so als hätte ich nur den einen. Tatsächlich ist es aber so, daß in der Regel immer derselbe Kollege gemeint ist, wenn ich schreibe: „Der Kollege hat mir das empfohlen…“ oder „Dem Kollegen hat das nicht gefallen…“
Diesen Kollegen möchte ich Euch Mitte des Monats gerne einmal richtig vorstellen. Wir haben da nämlich ein gemeinsames Projekt in Planung, auf das ich mich schon sehr freue!

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Natürlich durfte auch diesen Monat wieder ein illustriertes Sachbuch mit auf den Lesestapel: Rot ist doch schön von Lucia Zamolo aus dem Bohem Verlag.
Darin geht es (schockschwere Not!) um die Menstruation; ein Thema, über das ja immer noch kaum offen gesprochen wird. Deshalb bin ich jetzt schon ganz begeistert von diesem schön illustrierten Büchlein, das verspricht, Klartext zu reden.

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Kein Monat ohne Graphic Novel!
Im Juli ist das Sumpfland der Künstlerin Moki aus dem Reprodukt Verlag.
Seitenweise ohne Text und mit absolut ungewöhnlichen Figuren, scheint „Sumpfland“ nach dem ersten Anlesen ein Titel zu sein, in dem man wirklich abtauchen und sich ein Stück weit selbst verlieren kann.
Ich freu mich sehr darauf, es mir in einer stillen Nacht ganz in Ruhe vorzunehmen.

Soviel also von meiner Seite und jetzt seid Ihr dran:
Welche Titel habt Ihr Euch für den Juli vorgenommen?
Kennt Ihr den ein oder anderen Titel von meinem Lesestapel?
Und für mich besonders interessant: möchtet Ihr meine Kollegen kennenzulernen und ihre Meinungen zu den Büchern aus dem Lesekreis hören?

Genießt den Sommer!
Eure Andrea

Abenteuerliches im April

Morgen ist schon der erste April und bevor ihr denkt, daß der riesige Stapel, der sich diesen Monat bei mir angesammelt hat nur ein Aprilscherz ist, erzähle ich Euch lieber jetzt schnell, was im nächsten Monat alles auf meiner Leseliste steht.
Denn es ist eine ganze Menge zusammen gekommen!

Leider hänge ich noch ein wenig mit meinem Märzstapel hinterher, denn wie viele von Euch ja vielleicht mitbekommen haben, war ich schwer beschäftigt damit, die Wohnung zu renovieren, aber wenigstens habe ich nun endlich ein eigenes Zimmer.
Deshalb setze ich für den April vermehrt auf illustrierte Bücher und Graphic Novels. Hach… ich freue mich, denn es ist viel Spannendes und Abenteuerliches mit dabei.

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Aber beginnen wir mit den Romanen:

Das Buch, auf das ich mich wohl am meisten freue ist Das Verschwinden der Stephanie Mailer von Joel Dicker.
Bereits mit seinen ersten beiden Romanen „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ und „Die Geschichte der Baltimores“ hat mich Dicker restlos begeistert. Hoffentlich kann „Stephanie Mailer“ daran anschließen.

Spannend hört sich auch Katherine Dions Debütroman Die Angehörigen an.
Es geht um einen Mann, der nach dem Tod seiner Frau feststellt, daß sie wohl Zeit Lebens Geheimnisse vor ihm hatte…

Auf der Buchmesse wurde mir am Stand von weissbooks von Luna Al-Mouslis Roman Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen oder Der Islam und ich vorgeschwärmt.
Ende letzten Jahres haben ja viele Blogger sich die Mühe gemacht, um durchzuzählen, wie hoch die Frauenquote bei ihrer Lektüre war. Ich nahm das zum Anlass, um zu sehen, wie divers ich lese. Das Ergebnis: Während ich ganz gut bei den Persons of Color lag (vorausgesetzt man zählt Asiaten mit) und noch recht okay im Bereich LGBTQ+, war lediglich eine einzige Autorin mit Behinderung dabei und gar keine muslimischen Autoren! Daran wollte ich also ohnehin arbeiten, Luna Al-Mousli scheint da schon mal ein guter Einstieg zu sein.

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Natürlich darf auch der neue Moers nicht fehlen!
In Der Bücherdrache legt Walter Moers zwar nicht den lang erwarteten dritten Teil der „Stadt der träumenden Bücher“-Saga vor, dennoch geht es endlich wieder in die Katakomben von Buchhaim, diesmal allerdings mit dem kleinen Buchling Hildegunst von Mythenmetz.

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Weiter geht es mit den Sachbüchern.
Bei meinem neuen Lieblingsreisebuchverlag, dem Reisedepeschen Verlag ist vor Kurzem Vom Glück zu Reisen erschienen.
Darin setzt sich Philipp Laage wohl ebenso kritisch wie humorvoll mit den Auswüchsen der heutigen Reise-Industrie auseinander; von Selbstfindungstrips über Pauschal-Abenteuerurlaube.

Ein Titel auf den ich schon sehr gespannt bin ist Einfach Mensch sein – Von Tieren lernen von Sy Montgomery. Ihr erstes Buch „Rendezvous mit einem Oktopus“ wurde ja zum Bestseller und mir schon lange von Kollegen ans Herz gelegt. Allerdings habe ich mich nun doch für „Einfach Mensch sein“ entschieden, immerhin wurde es von Rebecca Green illustriert, die zwar in Deutschland weitestgehend unbekannt ist, deren entzückendes Bilderbuch „How to Make Friends with a Ghost“ aber zu meinen Favoriten in diesem Bereich zählt.

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Mit Tieren und Menschen geht es weiter und zwar in zwei Graphic Novels, die von den Forschungsreisen zwei der berühmtesten Naturwissenschaftler ihrer Zeit berichten:
Darwin – An Exceptional Voyage von Fabien Grolleau und Jérémie Royer erzählt von der berühmten Reise auf der Beagle, während Die Abenteuer des Alexander von Humboldt von Humboldt-Expertin und Biografin Andrea Wulf und Illustratorin Lillian Melcher sich mit den Amerika-Reisen des Forschers beschäftigt.
So ähnlich sich die beiden Titel auch vom Thema her sind, so unterschiedlich sind sie in der Umsetzung und den Illustrationen.
Ich freue mich wirklich schon sehr darauf, Euch die Titel diesen Monat noch genauer vorzustellen!

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Bleiben wir bei illustriertem Sachbuch und widmen wir uns den Frauen…
Die Graphic Novel I’m every woman von Liv Strömquist setzt sich auf absolut humorvolle Weise mit Feminismus und Themen, die Frauen bewegen auseinander.

Kickass Women – 52 wahre Heldinnen von Mackenzi Lee dagegen ist im Stil von Büchern wie „Good Night Stories for Rebel Girls“ aufgemacht, wartet aber mit wesentlich unbekannteren Frauen auf, von denen ich zum Großteil noch nie gehört habe, und das obwohl ich im letzten Jahr bereits einige solcher Titel gelesen habe!

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Zu guter letzt bleiben wir bei Geschichten um Frauen und deren grafischer Umsetzung.

The Handmaid’s Tale von Margaret Atwood liegt nun endlich auf Englisch als Graphic Novel vor und wurde wirklich verdammt gut umgesetzt!
Mary Who Wrote Frankenstein ist dagegen ein Bilderbuch, das zwar im englischsprachigen Raum zig Preise gewonnen hat, in Deutschland aber noch weitestgehend unbekannt ist.
Darin geht es um die Geschichte von Mary Shelley… Spannend!

Das ist er also, mein viel zu hoher Aprilstapel und wenn ich mir anschaue, was da alles noch vom März liegt könnte man ein bißchen an meinen Plänen zweifeln…
Allerdings ist nun tatsächlich wieder ein bißchen Ruhe in die Wohnung eingekehrt und ich merke, daß ich wieder Zeit finde, mehr zu lesen.
Der Maistapel wird dann aber garantiert wieder kleiner… Bestimmt!

Welche Titel liegen auf Euren Lesestapeln?
Worauf freut Ihr Euch am meisten und kennt Ihr einige der Titel, die ich heute vorgestellt habe vielleicht schon?
Ich wünsche Euch einen wunderbaren Frühling!

Eure Andrea

Review: Mittagsstunde

Vor drei Jahren landete Dörte Hansen mit ihrem Debütroman „Altes Land“ einen absoluten Überraschungserfolg, der seitdem aus den Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken ist.
Zunächst war ich von dem Hype um das Buch abgeschreckt und las es erst, kurz bevor es als Taschenbuch auf den Markt kam, aber dann war auch ich begeistert.
Nach einem solch erfolgreichen Debüt ist es immer schwierig, den zweiten Roman abzuliefern, der sich dann unweigerlich mit seinem Vorgänger messen lassen muss. Trotzdem war es mir wichtig, daß ich unvoreingenommen an „Mittagsstunde“ herangehe.

Ingwer Feddersen ist schon beinahe fünfzig Jahre alt, doch er hat nicht das Gefühl, viel im Leben erreicht zu haben.
Schon sein halbes Leben wohnt er in einer Wohngemeinschaft, die er mit den Worten „zwei Männer, eine Frau, nichts Halbes und nichts Ganzes“ beschreibt. Und auch beruflich tut er sich schwer damit, sich als vollwertiger Universitäts-Professor zu fühlen, denn eigentlich, so denkt Ingwer, hätte er in dem kleinen Ort Brinkebüll bleiben müssen, aus dem er stammt, die Dorfwirtschaft des Großvaters übernehmen und vielleicht auch seine Landwirtschaft ein Stück weit weiterführen sollen.

Doch nun kehrt Ingwer zurück in das Dorf seiner Kindheit, um sich um seine pflegebedürftigen Großeltern zu kümmern, die Ingwer seinerzeit großgezogen haben…

In Rückblenden erzählt Dörte Hansen von Ingwers Familie, deren Geschichte eng mit der von Brinkebüll verbunden ist. Besonders die Flurbereinigung Ende der sechziger Jahre verändert nicht nur das Aussehen des Dorfes, sondern beschert der Familie Feddersen auch den kleinen Ingwer, den ein Landvermesser auf der Durchreise mit der siebzehnjährigen, geistig verwirrten Marret zeugt.

Bei seiner Rückkehr nach Brinkebüll muss Ingwer feststellen, daß das Dorf seiner Kindheit beinahe nur noch in der Erinnerung seiner Bewohner existiert.

„Mittagsstunde“ ist ein Buch, das mich ganz persönlich tief angesprochen hat.
Als ich noch Kind war, fuhren meine Eltern und ich jedes zweite Wochenende zu meinen Großeltern aufs Land, wo wir von Freitag bis Sonntag zusammen in ihrem großen Haus wohnten.
Eigentlich hatten meine Großeltern dieses Haus für unsere ganze Familie gebaut, doch meine Eltern zogen es vor, sechzig Kilometer entfernt in der Stadt zu wohnen, wo man nicht für jede Besorgung zwangsläufig ins Auto steigen musste, oder nie sicher war, ob der Kindergarten und die Dorfschule nicht im kommenden Schuljahr geschlossen werden mussten.

Ich liebte diese Wochenenden auf dem Land, doch als meine Großeltern das Haus altersbedingt aufgeben mussten, wollten auch mein Mann und ich nicht dort einziehen. So schön das Landleben auch ist, praktisch ist es nicht.

Vielleicht konnte ich mich deshalb so gut in Ingwer Feddersen hineinversetzen. Deswegen und auch, weil ich weiß wie es ist, demenzkranke Großeltern zu haben.

Im direkten Vergleich ist „Altes Land“ ein Buch, das es dem Leser leichter macht. Hier geht es um Neuanfänge und die Versöhnung mit der Vergangenheit. In „Mittagsstunde“ hingegen geht es um Abschiede; von den Großeltern, der Kindheit und den Orten, die uns geprägt haben und die nach und nach verschwinden, um Neuem Platz zu machen.

Deshalb wird es „Mittagsstunde“ vermutlich schwerer haben, eine so breite Leserschaft zu begeistern, wie sein Vorgänger.
Trotzdem hat mich die Geschichte auf ihre ruhige und etwas nostalgische Art sehr angesprochen.

Review: Weihnachten auf der Lindwurmfeste

Wer die Zamonien-Bücher von Walter Moers kennt, der weiß, was es mit der Lindwurmfeste auf sich hat: ein riesiger, kegelförmiger Felsen, der von Dinosauriern (im Volksmund auch „Lindwürmer“ genannt) bewohnt wird und auf dem sich alles um Bücher und Literatur dreht.

Die Lindwürmer sind Dichter, Denker und Bestsellerautoren, doch von ihren seltsamen Bräuchen wusste man außerhalb der Lindwurmfeste kaum etwas, bis nun Hildegunst von Mythenmetz einen Brief an seinen Freund Hachmed Ben Kibitzer geschrieben hat, in dem er von dem sonderbaren Fest Hamoulimepp, das unserem Weihnachtsfest überraschend ähnlich ist, berichtet.

Wie bei uns an Weihnachten werden die Lindwurmkinder reich beschenkt, allerdings nicht vom Christkind, sondern dem Hamoulimepp, das – je nach persönlicher Überzeugung – unter anderem die Gestalt eines quergestreiften Wolkengeistes, eines riesigen blauen Blumenkohls mit drei Beinen oder einer verrückten Gämse mit sieben Hörnern hat.

Statt Christbäume zu schmücken brechen die Lindwürmer große Stalaktiten in den Höhlen der Feste ab, die die Kinder dann bunt bemalen und schmücken dürfen und statt von christlicher Nächstenliebe handelt die Hamoulimepppredigt von der vorschriftlichen Faltung von Bettlaken aus Wildleder…

Doch einige Bräuche sind wirklich schön; so schön sogar, daß man ein bißchen traurig ist, daß wir keine Äquivalente dazu haben.
So gibt es am zweiten Hamoulimepp-Feiertag einen großen Bücherräumaus auf der gesamten Lindwurmfeste, bei dem jeder Bewohner eine Kiste mit ausrangierten Büchern vor seine Türe stellt und dann die Stadt durchstreift, um die Bücherkisten der anderen zu begutachten.

Auch schön: der Brauch der Lindwurmfesteschneckengedichte.
Hier werden die heimischen Lindwurmfesteschnecken eingefangen, vorsichtig mit Gedichten beschriftet und anschließend wieder freigelassen.
Ist die Schnecke irgendwann mal eines natürlichen Todes gestorben, darf man sich das Häuschen mit den Gedichten aneignen. Im besten Fall ist natürlich das Gedicht eines berühmten Lindwurmes darauf.

„Weihnachten auf der Lindwurmfest oder Warum ich Hamoulimepp hasse“ ist ein humorvolles Büchlein, das in keiner Zamonien-Sammlung fehlen sollte.
Illustriert wurde der Text von Walter Moers und Lydia Rode, mit der er ja schon an Prinzessin Insomnia & der alptaumfarbene Nachtmahr zusammengearbeitet hat, hat Taxonomische Tafeln, wie man sie aus alten Naturkundebüchern kennt, beigesteuert. Sehr schön!

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PS: Als kleines Hamoulimepp-Geschenk findet man am Ende des Buches noch eine kurze Leseprobe von Moers neustem Buch „Der Bücherdrache“, das im Frühjahr 2019 erscheinen wird.

 

Meine Sammelleidenschaft

Es ist schon eine Weile her, da las ich den Blogbeitrag eines verzweifelten Harry Potter-Fans*… Verzweifelt, weil sie an einem Punkt angelangt war, an dem sie einfach nicht mehr wusste, ob sie mit all den Büchern, die den Markt fluteten noch mithalten konnte und wollte.
Soweit ich mich erinnere begann es für sie ganz unschuldig, mit den deutschen und englischen Ausgaben, doch dann kam immer mehr… Die illustrierten Ausgaben, die englischen Ausgaben mit den neuen Covern, die amerikanischen Ausgaben, die in den jeweiligen Hausfarben… Demnächst kommen ja die deutschen Jubiläumsausgaben und von den ganzen Zusatzbüchern will ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen.
Wie weit kann die Fanliebe gehen, bis man einfach nicht mehr mithalten kann, bis man das Gefühl hat, nur noch ausgenommen zu werden?

Ich las diesen Artikel und lächelte milde…
„Hach, die Jugend!“, dachte ich. „So leicht zu manipulieren… So leicht auszunutzen…“
Doch schon in der nächsten Sekunde schämte ich mich, denn mein Blick fiel auf die drei Regalmeter meiner persönlichen Sammelleidenschaft, für die mir wohl selbst jemand, der alle Harry Potter-Ausgaben besitzt, den Vogel zeigen dürfte.

Auch bei mir begann es ganz unschuldig…
Eines Tages lagen da sechs Stapel in unserer Buchhandlung… Sechs englische Ausgaben der großen Klassiker, wunderschön gestaltet und in buntes Leinen gebunden: die Penguin Clothbound Classics.
Ein bißchen Austen, ein bißchen Bronte, dazu noch Wilde und Dickens… Mehr war es nicht. Und weniger als 15 Euro für so ein schönes Buch? Mit dem Mitarbeiterrabatt fast schon geschenkt…
Gut, bei sechs Büchern läpperte es sich schon ein wenig, aber es waren ja nur sechs…
Sie würden wunderschön in meinem Regal aussehen und ich gönne mir ja sonst kaum was.
Also zogen diese ersten sechs Titel der Clothbound Classics-Reihe bei mir ein, und nachdem ihr das Titelbild gesehen habt, dürfte euch klar sein, was dann geschah…

Denn Penguin dachte gar nicht daran, diese Reihe wieder einzustellen und mich vor dem finanziellen Ruin zu retten, oh nein!  Sie hatten es auf mein mickriges Gehalt als Halbtagsbuchhändlerin abgesehen und sie bekamen es auch.

Mittlerweile besitze ich 63 Bände und es ich noch kein Ende in Sicht.
Ich weiß, ich sollte so vernünftig sein, wie dieser Harry Potter-Fan und einfach sagen: „Danke, liebe Leute vom Penguin Verlag! Es war mir ein Fest, aber nun muss ich leider aufhören, eure schönen Clothbound Classics zu sammeln. Meine Regale quellen über und Geld habe ich eigentlich auch keines!“
Aber nein… Alle paar Monate bibliografiere ich, welche Titel erscheinen werden und ärgere mich und schwöre mir, damit aufzuhören und dann kaufe ich sie doch!

Es gibt keine Entschuldigung, ich hänge da einfach am Haken.
Eigentlich wünsche ich mir fast schon, daß die Reihe eingestellt wird und trotzdem bleibe ich ihr treu…
Solltet ihr also mal in 30-40 Jahren durch Freising spazieren, kann es gut sein, daß ihr ein Häuschen seht, das ausschließlich aus Penguin Clothbound Classics-Ausgaben besteht und die Leute werden sagen: „Ja ja… Darin wohnt eine verrückte Alte, die hat ihr ganzes Geld für Bücher ausgegeben und jetzt muss sie darin wohnen!“
Dann schaut einfach mal bei mir vorbei. Demnächst erscheint das englische Libretto zu „Der Ring der Nibelungen“ in der Reihe. Braucht kein Mensch, aber wir machen es uns dann gemütlich und ich les euch daraus vor. 😉

Wie steht es bei euch? Sammelt ihr eine bestimmte Buchreihe oder Bücher zu einem Thema?
Könnt ihr einfach sagen „Bis hierher und nicht weiter“, oder greift ihr doch immer wieder zu?

Liebe Grüße,
Andrea

2018-04-11_10.18.10

*Leider konnte ich den Beitrag nicht mehr finden. Ich habe versucht, mich nach bestem Wissen und Gewissen daran zu erinnern. Wer sich darin wiedererkennt darf sich gerne bei mir melden und schamlos verlinken lassen. 😉