„Mein Ein und Alles“ von Gabriel Tallent ist wohl ein absolutes Love-it-or-Hate-it-Buch. Von so vielen Lesern hatte ich gehört, daß sie es gar nicht aus der Hand legen konnten, während andere es nach dem ersten Kapitel abbrechen mussten.
Nachdem ich wirklich nur diese extremen Meinungen und nichts dazwischen gehört hatte, musste ich mir jetzt doch noch ein eigenes Bild machen, bevor ich von der Flut der Herbstnovitäten mitgerissen würde…
Julia – genannt Turtle – lebt zusammen mit ihrem Vater Martin abgeschieden in den Wäldern Kaliforniens. Ihre Mutter starb, als Turtle noch sehr klein war, ihre einzige Bezugsperson neben Martin ist ihr Großvater, der in einem Wohnwagen auf dem Grundstück lebt, aber seine Tage meist mit Trinken verbringt.
In die Schule geht Turtle nur lustlos; sie hat kein Interesse daran, sich mit Gleichaltrigen anzufreunden und auch ihre Noten sind schlecht. Schließlich sieht sie keinen Sinn darin, Algebra oder Fremdwörter zu lernen, wenn es wichtigeres gibt…
Denn Martin ist davon überzeugt, daß die Gesellschaft kurz vor dem Kollaps steht und bereitet seine Tochter auf das Unausweichliche vor. In ihrem schäbigen Holzhaus bunkern Turtle und ihr Vater Konserven, Benzin und Waffen, um für den Zusammenbruch vorbereitet zu sein, ihre Freizeit verbringt Turtle mit Schießübungen.
Martin tut alles, um seine Tochter für die Zukunft hartzumachen, und dabei schreckt er vor nichts zurück. Auch die Art und Weise, wie er seine Liebe zu ihr beweist, ist mehr als schockierend.
Erst als Turtle in den Wäldern auf die Freunde Jakob und Brett stößt, die sich verirrt haben, beginnt sie zu begreifen, daß es für sie eine Zukunft ohne die ständige Kontrolle und den Zugriff ihres Vaters geben könnte. Doch als Turtle zu rebellieren beginnt, fängt die Situation mit Martin an, zu eskalieren…
Zunächst einmal: ich kann wirklich jeden verstehen, der dieses Buch nach dem ersten Kapitel abgebrochen hat. „Mein Ein und Alles“ ist wohl eines der härtesten Bücher, die ich je gelesen habe, aber ich bin, um ganz ehrlich zu sein, auch sehr zart besaitet.
Trotzdem konnte ich es einfach nicht weglegen. Die Geschichte entwickelte eine regelrechte Sogwirkung auf mich, auch wenn ich später im Buch immer wieder zu kämpfen hatte und mich stellenweise dabei ertappte, wie ich beim Lesen die Augen zusammenkniff. Das funktioniert zwar gut, wenn man einen brutalen Film sieht, nicht aber beim Lesen, und so schwankte ich gegen Ende oft zwischen Abbruch und dem Bedürfnis, die Geschichte endlich zu einem – hoffentlich guten – Ende zu bringen.
Ich weiß, daß es sich nicht so anhört, als wollte ich Euch dieses Buch schmackhaft machen, aber es war für mich definitiv eines der besten und intensivsten Leseerlebnisse der letzten Monate.
Wenn Ihr zu den Leuten gehört, die Trigger-Warnungen brauchen, dann lasst besser die Finger von diesem Buch, denn dann müsste ich sagen: „Alles, was Euch irgendwie triggern könnte, wird hier passieren!“.
Und trotzdem konnte ich „Mein Ein und Alles“ nicht aus der Hand legen.
Love it or hate it… Obwohl ich jeden verstehen kann, der dieses Buch abbricht, bin ich wirklich verdammt froh, es gelesen zu haben.