Ach, der April…
Das Wetter schwankt zwischen Tagen, die so warm sind, daß man kaum ohne Sonnenschirm auf dem Balkon sitzen kann und welchen mit Schneegestöber. Mein Kopf fühlt sich wie in Watte gepackt an, was vielleicht am Wetter liegt, oder auch daran, daß ich meine freie Woche nicht etwa mit dem pünktlichen zusammenschreiben meiner April-Bücher verbracht habe, sondern damit, meine Oma auf ihrem letzten Weg zu begleiten.
Meine Oma ist neunzig Jahre alt geworden und hatte ein recht erfülltes Leben, trotzdem fiel mir der Abschied schwer, weil wir uns im letzten Jahr nur zweimal sehen konnten.
An dem Tag, an dem wir meine Oma ins Pflegeheim brachten, waren wir alle traurig und ich versprach ihr, sie jede Woche zu besuchen. Am folgenden Wochenende wurde der erste Lockdown verhängt und so wurde nichts aus diesem Versprechen…
Natürlich war ich unheimlich froh, zu wissen, daß meine Großmutter gut versorgt wurde. Trotzdem: Gebrochene Versprechen – selbst wenn man nichts dafür kann – drücken sehr aufs Gemüt.
Im Sommer musste meine Oma für ein paar Tage ins Krankenhaus, wo mehr als nur eine Kontaktperson zugelassen war. Als ich sie dort besuchte, sagte sie mir, daß sie nur noch einmal gerne die Kinder sehen wollte. Es war Sommer, die Fallzahlen sanken und ich war naiv genug zu glauben, daß es kein Problem sein dürfte, meine Oma spätestens an Weihnachten zu uns zu holen. – Tja, ich war jung und dumm.
Als klar wurde, daß ich weder meine Oma aus dem Pflegeheim holen, noch meine Kinder hineinbringen konnte, begannen meine Mutter, die als Kontaktperson ins Pflegeheim durfte, die Pflegerinnen und ich einen Plan auszuhecken, daß meine Großmutter und meine Kinder sich doch noch einmal sehen konnten.
Letztendlich schafften wir es an Heiligabend, für ein paar Minuten zusammen zu sein, wenn auch nur durch eine dicke Glasscheibe.
Ich weiß, daß viele den Kopf darüber schütteln, wie schwierig es ist, derzeit Treffen mit Personen in Pflegeeinrichtungen zu arrangieren, aber ich hatte immer absolutes Verständnis für die Vorsichtsmaßnahmen, die im Pflegeheim getroffen werden mussten. Dort sind eben nicht nur Menschen, die ohnehin nur noch ein Weihnachtsfest vor sich haben, das sie gerne mit ihrer Familie verbringen würden, sondern auch viele Patienten die nur in Kurzzeitpflege sind und auch die Pflegekräfte, die wirklich unglaubliche Arbeit leisten und die sich unfassbar lieb um meine Oma gekümmert haben.
Solche Menschen zu schützen darf man in dieser Situation nie aus den Augen verlieren.
Als dann letzte Woche die sogenannte „Sterbesituation“ eintrat, durften meine Mutter und ich dann auch auf die Station. Natürlich nicht ohne jeden Tag getestet zu werden.
Ich bin unheimlich dankbar, daß ich diese Tage noch mit meiner Oma verbringen konnte, auch wenn sie gegen Ende hin hauptsächlich schlief.
Ihre letzte Bitte an mich: „Immer schön die Blumen auf meinem Grab gießen.“ – Ach, Oma. Ja, mach ich.
Keine Ahnung, wie ich jetzt die Brücke zurück zu meinen April-Büchern schlagen soll, aber wie das Wetter, so hat auch mein Leseverhalten in der letzten Woche extrem geschwankt. Von 0 bis 300 Seiten an einem Tag war alles dabei, je nachdem, ob ich die Ablenkung dringend brauchte, oder ich meinen Gedanken nachgehangen bin.
Dementsprechend habe ich die Hälfte meines Aprilstapels dann auch schon gelesen.
Beginnen wir doch mit dieser Schönheit: „Frühling“ von Ali Smith.
Nach „Herbst“ und „Winter“ ist „Frühling“ der dritte Teil von Smiths Jahreszeitenquartett und während ich bei „Herbst“ ständig das Gefühl hatte, daß die Handlung an mir vorbeiplätscherte, habe ich „Winter“ regelrecht durchgesuchtet und nicht verstehen können, warum diese Frau noch keinen Literaturnobelpreis hat. – Vielleicht hört sich das jetzt übertrieben an, aber so etwas Kreatives und erzählerisch verspieltes habe ich selten gelesen.
Jetzt bin ich auf „Frühling“ gespannt. Für manche ist es der beste, für andere der schlechteste Teil des Quartetts. Mal sehen, in welche Richtung ich tendiere.
An den nächsten Romanen kommt man in diesem Frühjahr nicht vorbei: „Über Menschen“ von Juli Zeh und „Der große Sommer“ von Ewald Arenz.
„Über Menschen“ erinnert von Titel her natürlich sehr an „Unterleuten“ und auch dieses Buch handelt vom Stadt-Land-Gefälle, allerdings geht es hier auch um völlig neue Themen.
Wer sich vorher gefragt hat, in welchem Buch ich denn 300 Seiten am Stück gelesen habe: in „Über Menschen“!
Bald gibt es dann eine ausführliche Rezension von mir.
„Der große Sommer“ ist das neuste Buch von Ewald Arenz, der ja mit „Alte Sorten“ ein Buch geschrieben hat, das für viele Leser zum absoluten Lieblingstitel wurde. Ich muss ganz ehrlich sagen, daß ich „Alte Sorten“ noch gar nicht gelesen habe. – Vermutlich, weil die Erwartungshaltung inzwischen zu hoch ist. Wer kennt das nicht?
Wenn es dann hoffentlich bald wieder wärmer wird, werde ich mich aber definitiv dem „Großen Sommer“ widmen.
Zwei weitere Titel, die dieses Frühjahr in aller Munde sind, kommen aus dem KiWi Verlag: „Eurotrash“ von Christian Kracht und „Komplett Gänsehaut“ von Sophie Passmann.
Nach 25 Jahren hat Kracht mit „Eurotrash“ die Fortsetzung von „Faserland“ vorgelegt, welches ich damals am Anfang meiner Ausbildung als Hörbuch gehört (als Kassetten auf meinem knallgelben Walkman, während ich durch die Gegend geradelt bin, weil ich noch keinen Führerschein hatte) und leidenschaftlich gehasst habe!
Als Andi „Faserland“ im Seite an Seite-Podcast mit Leif Randts „Allegro Pastell“ verglich, konnte ich das nicht unterschreiben. „Allegro Pastell“ troff vor Ironie, während ich „Faserland“ furchtbar selbstgefällig fand.
Nun habe ich allerdings die leise Hoffnung, daß sich „Eurotrash“ selbst nicht so schrecklich ernst nimmt; der erste Absatz scheint das zumindest nahezulegen.
Ebenfalls knallgelb und als ganz großartiges Hörbuch kommt „Komplett Gänsehaut“ von Sophie Passmann daher. (Was für eine Überleitung!)
Ihre Titel „Alte weiße Männer“ und „Frank Ocean“ hat Sophie ebenfalls selbst eingesprochen und wurden von mir gehört und geliebt, „Komplett Gänsehaut“ fand ich dann als Hörbuch so unfassbar witzig und böse, daß ich auch unbedingt das Buch besitzen wollte.
Auch zu diesem Titel gibt es schon bald eine Rezension.
Zu guter Letzt gibt es noch eine wunderschöne neue Graphic Novel von Tillie Walden: „Auf einem Sonnenstrahl“.
Es geht um eine Crew von Weltraumruinen-Restauratoren, was sich zunächst erstmal recht seltsam anhört, aber in erster Linie für ein traumhaftes Setting sorgt. Es geht um Freundschaft, Liebe und die Suche nach uns selbst. Wie immer erzählt Tillie Walden jenseits von heteronormativen Erzählstrukturen und schreibt, bzw zeichnet sich damit einfach direkt in mein Herz.
Eine große Empfehlung für alle Fans von Graphic Novels!
Ich hoffe, es geht euch allen gut und ihr und eure Lieben kommt gut durch die Zeit.
Passt aufeinander auf und fühlt euch fest umarmt, wenn ihr gerade jemanden vermisst.
Alles Liebe,
Andrea