Neue Herausforderungen im Mai

Meine Leseliste und Leseplanung sind derzeit komplett aus dem Tritt geraten… Während manch andere dank des Lockdowns dutzende von Büchern pro Monat verschlingen, habe ich gerade mal ein einziges im April beendet. – Zwei, wenn man „Das kleine Gespenst“ mitzählt, das ich meinem Kleinen vorgelesen habe.
Wieder einmal war es das Pendeln, das mir fehlte, während in der Buchhandlung nur Notbetrieb herrschte und ich zu Hause saß, um dort wenigstens online zu beraten.
Es stellt sich eine ziemliche Lethargie ein, die immer wieder auf Aktionismus trifft, der aber noch darauf wartet, richtig durchstarten zu können; denn im Mai steht einiges an:
Nach einem halben Jahr Winterschlaf wird es bald wieder mit dem „Seite an Seite“-Podcast weitergehen! In dieser Staffel mit einem ganz neuen Konzept, das ziemlich ambitioniert ist und dafür sorgen wird, daß ich mich sehr auf den Lesegeschmack anderer Leute einstellen und auch außerhalb meiner üblichen Genres lesen muss. Trotzdem bin ich schon sehr gespannt darauf, was mich alles in der neuen Staffel erwartet. Sobald es einen fixen Starttermin gibt, werde ich es euch wissen lassen. 🙂
Das zweite Projekt, daß in den Startlöchern steht, ist die Renovierung meiner neuen Wohnung. Meine Eltern überlassen mir ihre alte Eigentumswohnung, was ich selber kaum fassen kann, mich aber auch einiges an Arbeitszeit und Geld kosten wird. Die Wohnung wurde Anfang der 1980er Jahre gebaut und ist seitdem nie wirklich renoviert worden, was sie zu einem (Alp-)Traum in dunkelbraun macht.
Da ich mir eine ordentliche Sanierung nicht leisten kann, werde ich also selbst Hand anlegen und auf das Beste hoffen!
Statt zu lesen habe ich mir deshalb in den letzten Wochen unzählige Video-Tutorials über Bad- und Küchensanierung angesehen und hoffe, ich bin auf dieses Abenteuer gut vorbereitet. Immerhin: Endlich kann ich meinem Vater beweisen, daß es sich doch gelohnt hat, damals in der Schule Werken als Hauptfach zu nehmen! 😉
Womit wir auch schon bei Projekt Nummer drei wären, denn die Renovierung würde ich wirklich gerne zum Anlass nehmen, um einen YouTube-Kanal zu starten. Dort könnte ich ein wenig darüber zu vloggen, was alles so bei mir passiert und natürlich auch von den Büchern zu erzählen, die ich gerade lese.
Ich hoffe, ich schaffe das alles gut unter einen Hut zu bringen, denn die Kinder, das Homeschooling und der Job haben natürlich die höchste Priorität.

Nachdem diesen Monat also wirklich viel auf mich zukommt und die Bücher, die ich für den Podcast lesen darf, noch auf dem Weg zu mir sind, habe ich mir für den Mai nicht besonders viel zusätzlich auf den Lesestapel gepackt.

Den Anfang macht „Aufregende Zeiten“ von Naoise Dolan, das ich aktuell als Hörbuch höre und das auf der Longlist des Women’s Prize for Fiction stand.
Darin geht es um Ava, eine junge Irin, die nach dem Studium nach Hongkong geht, um dort als Sprachlehrerin zu arbeiten.
Bisher erinnert mich die Geschichte sehr an „Normale Menschen“ von Sally Rooney, allerdings bringt die Szene der in Hongkong lebenden britischen Geschäftsleute und Banker einen wirklich spannenden Kosmos mit ins Spiel.

Ganz neu ist auch „Der Tod des Vivek Oji“ von Akwaeke Emezi, das wohl ebenfalls für den Women’s Prize for Fiction nominiert gewesen wäre, hätte es nicht eine Regeländerung gegeben, die inzwischen die Teilnehmerinnen dazu verpflichtet, Dokumente vorzulegen, die sie vor dem Gesetz als Frauen identifizieren. Das ermöglichte zwar die Teilnahme der Transfrau Torrey Peters, schließt die nicht-binären Autor:innen Akwaeke Emezi dieses Jahr allerdings aus (ja, ich habe das englische Pronomen they an dieser Stelle gnadenlos eingedeutscht), die 2019 noch für ihren Debütroman „Süßwasser“ nominiert gewesen waren.
Über das Buch selbst habe ich von englischsprachigen BookTubern nur Gutes gehört, auch wenn die Geschichte sehr traurig sein soll.

Ein weiteres neues Buch, auf das ich schon unheimlich gespannt bin, ist „Geisterwand“ von Sarah Moss. Bisher habe ich von der Autorin nur „Gezeitenwechsel“ gelesen, was mich sprachlich sehr beeindruckt hat, aber dessen Handlung mich nicht wirklich mitreißen konnte.
In dem recht dünnen Band „Geisterwand“ geht es um eine Gruppe Archäologen, die einen Sommer lang in einer nachgebauten Eisenzeit Siedlung leben wollen, um die damaligen Lebensbedingungen nachzustellen.
Sofort musste ich an die mehrteilige Doku „Das Steinzeit Experiment“ denken, in der sich zwei Familien mit einer handvoll Freunden auf eben genau so ein Abenteuer begeben, und die ich wirklich faszinierend fand.

Zu guter Letzt gibt es wieder ein neues Buch meiner absoluten Lieblingsillustratorin Kat Menschik: „Durch den wilden Kaukasus“.
Auf einem Wanderurlaub durch das georgische Swanetien hatte sie die Idee, die schönen Eindrücke zu bewahren und wählte für den zehnten Band ihrer Lieblingsbücher-Reihe klassische und moderne Texte aus, die von dieser Region erzählen. Das alles hat sie mit ganz wunderbaren Blumenbildern illustriert.
Große Liebe für dieses Projekt!

Wie sich meine eigenen Projekte diesen Monat entwickeln, darüber halte ich euch natürlich gerne auf dem Laufenden.
Drückt mir die Daumen, daß ich mich nicht komplett übernehme. 😉

Eure Andrea

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Novitäten im November

Im November kann ich mich vor Novitäten kaum retten! – Klar, immerhin muss ich mich für das anstehende Weihnachtsgeschäft nochmal ausgiebig informieren und die Weihnachtsempfehlungsfolge für den Podcast vorbereiten.
Deshalb gibt es heute wieder einen bunten Mix aus bereits gelesenen und noch ungelesenen Romanen und Sachbüchern, die eine ziemliche Bandbreite abdecken.

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Los geht es mit drei etwas ernsteren Roman: „Meine dunkle Vanessa“, „Insel der verlorenen Erinnerung“ und „Als die Welt stehen blieb“.

„Meine dunkle Vanessa“ von Kate Elizabeth Russell erzählt von Vanessa, die als 15-Jährige von ihrem Highschool Lehrer sexuell missbraucht wird, und lange Zeit glaubt, sie selbst wäre es gewesen, die diese Beziehung gewollt hätte.
Eine unheimlich facettenreiche Geschichte, die ich schon als englisches Hörbuch gehört habe, und die es wert ist, sich noch einmal etwas ausführlicher damit zu beschäftigen.

„Die Insel der verlorenen Erinnerung“ von Yoko Ogawa erzählt von einer Insel, auf der Dinge nicht nur aus dem Alltag, sondern auch aus der Erinnerung der Menschen verschwinden und von einer geheimnisvollen Erinnerungspolizei, die dafür sorgt, daß diese Dinge auch verschwunden bleiben.
Auf Instagram und den Buchblogs hört man derzeit nur begeisterte Stimmen; Zeit also, mir diesen Titel auch einmal vorzunehmen.

Morgen beginnt ja der nächste Lockdown, diesmal in der Light-Version, aber ich denke, wir alle erinnern uns noch lebhaft an den ersten Lockdown im März. Bestsellerautorin Maja Lunde („Die Geschichte der Bienen“, „Die Geschichte des Wassers“) hat ihre Gedanken in dieser Zeit aufgeschrieben und zu einem Buch verarbeitet: „Als die Welt stehen blieb“.
Mein erster Gedanke war, daß ich definitiv kein Buch über den Lockdown brauche, allerdings höre ich von allen Seiten nur Gutes über „Als die Welt stehen blieb“. Ich hoffe also, daß mich dieser Titel gut durch den nächsten Lockdown bringen wird, vielleicht sogar so, als hätte ich eine Freundin an meiner Seite, die ihre Gedanken mit mir teilt.

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Zum Ausgleich habe ich mir auch gleich noch drei humorvollere Titel ausgesucht: „QualityLand 2.0“, „Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“ und das „Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau“.

Tatsächlich habe ich Marc-Uwe Kling erst während des Lockdowns für mich entdeckt und dann gleich alles, was es gab, als Hörbuch durchgesuchtet.
Dabei war ich dann wirklich positiv überrascht, welchen Tiefgang gerade „QualityLand“ mit seiner nicht unrealistischen Dystopie zu bieten hat, obwohl man fast ununterbrochen lachen muss.
In „QualityLand 2.0 – Kikis Geheimnis“ tauchen wir wieder ins beste aller möglichen Länder ab und in die Abgründe, die sich darunter auftun.

Mein Verhältnis zu den Büchern von Jonas Jonasson schwankt zugegebenermaßen immer ein wenig. Während ich „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster Stieg und verschwand“ sehr mochte und „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ geliebt habe, fand ich „Mörder Anders und seine Freunde nebst dem einen oder anderen Feind“ dagegen richtig schlecht. „Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten“ war dann wieder recht sympathisch, von „Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“ erwarte ich mir nun einen Roman, der mich beim Pendeln ein wenig zum Lachen bringt, wenn es bald im Laden wieder stressiger wird.

Das „Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau“ von Marie-Renée Lavoie handelt von Diane, Ende 40, die ganz plötzlich von ihrem Mann für eine deutlich jüngere Frau verlassen wird. Das beschreibt Lavoie mit soviel bissigem Humor, daß man trotz des eigentlich ziemlich traurigen Themas immer wieder laut loslachen muss.

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Gleich drei Titel aus dem Hause Diogenes haben mich diesen Monat erreicht, nämlich Amélie Nothombs neuster Roman „Die Passion“, „Dieses ganze Leben“ von Raffaella Romagnolo und „Das Buch eines Sommers“ vom „Ernährungskompass“-Autor Bas Kast.

Amélie Nothomb ist ja eine meiner liebsten Autorinnen, in „Die Passion“ erzählt sie von Jesus Christus in der Nacht vor seiner Kreuzigung. Nothombs düsterer Witz in einer biblischen Geschichte? – Schwer vorzustellen, aber ich bin sehr gespannt!

Raffaella Romagnolo wurde mit „Bella Ciao“ bekannt, in „Dieses ganze Leben“ geht es um ein Geschwisterpaar, das sich aufmacht, die Welt ihres Viertels zu erkunden. Der Klappentext hört sich zumindest schonmal vielversprechend an.

Wenn ein berühmter Sachbuchautor plötzlich einen Roman schreibt, finde ich das ja erstmal ziemlich spannend. Der Untertitel von „Das Buch eines Sommers“, nämlich: „Werde, der du bist“, machte mich zwar schon ein wenig stutzig, denn mit als Roman verpackten Lebensratgebern kann ich mich einfach nicht anfreunden, doch von einigen Leuten hörte ich, das Buch wäre überhaupt nicht kitschig, sondern einfach nur richtig schön.
Anfangs hätte ich das auch unterschrieben, aber leider driftet „Das Buch eines Sommers“ sehr schnell in die gefürchtete Lebensweisheit-Roman-Schiene ab. Leider gar nicht mein Fall!

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Auch zwei Sachbücher haben es auf meinen Novemberstapel geschafft.

„Kat Menschiks & des Diplombiologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes illustrirtes Thierleben“ (Ja, das schreibt man wirklich so!) ist das unangefochten schönste Buch des Jahres!
Wenn Kat Menschik illustriert und Mark Benecke allerhand sonderbare Fakten über Tiere erzählt, dann ist das ein Buch genau für mich!

Das zweite Sachbuch kommt dafür mit einem deutlich ernsteren Thema daher: „How to be an Antiracist“ von Ibram X. Kendi.
Während des Lockdowns im April habe ich mir ja „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ von Alice Hasters und „exit RACISM“ von Tupoka Ogette als Hörbücher angehört und war schwer beeindruckt, zugleich aber auch schockiert, wie wenig ich zu Thema Rassismus in Deutschland wusste (Stichwort: Kolonialgeschichte).
Ibram X. Kendi erzählt in „How to be an Antiracist“ von seiner persönlichen Geschichte und davon, die man Rassismus aktiv entgegensteuern kann. Nachdem Kathy von anothergreatetc so von diesem Buch geschwärmt hat, bin ich jetzt richtig gespannt darauf!

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Seltsamerweise sind diesen Monat auch gleich zwei Titel über David Bowie auf meinem Lesestapel gelandet; seltsamerweise, weil ich an sich kein großer Bowie Fan bin. Das heißt nicht, daß ich ihn oder seine Lieder nicht mögen würde, ich habe nur tatsächlich nie aktiv seine Musik gehört und könnte (an dieser Stelle brüllen vermutlich viele von euch: „Frevel!“) wohl kein einziges Lied von ihm nennen.

„Bowies Bücher – Literatur, die sein Leben veränderte“ von John O’Connell rutschte auf meinen Lesestapel, nachdem einige Kollegen sehr davon geschwärmt hatten. Es ist wohl eine Eigenheit unseres Berufs, daß wir es lieben, in andere Bücherregale zu schauen, um uns ein Bild von der Person zu machen. Überraschenderweise habe ich auch von den hundert Büchern, über die Bowie spricht, gerade einmal drei gelesen!

Der zweite Titel über David Bowie ist „Bowie – Ein illustriertes Leben“ von María Hesse und Fran Ruiz.
María Hesses Illustrationen liebte ich ja schon in „Frida Kahlo – Eine Biografie“ sehr und inzwischen habe ich mir sogar zwei Drucke von ihr gegönnt. Klarer Fall also, daß ich nun auch ihr neustes Buch haben musste und zusammen mit „Bowies Bücher“ ergibt es bestimmt ein sehr schönes Porträt dieses spannenden Menschen. Vielleicht werde ich dabei sogar noch anfangen, seine Musik zu hören. 😉

Ganz schön viel habe ich mir da vorgenommen!
Kennt ihr vielleicht schon den ein oder anderen Titel?
Ich wünsche euch allen einen schönen November.

Bleibt gesund!

Kurz und Knapp – Was ich noch so alles gelesen habe #1

Nachdem ich die letzten Monate praktisch kaum zum Bloggen gekommen bin, haben sich so viele Titel angesammelt, zu denen ich zumindest noch ein kurzes Feedback geben möchte, daß mich der Gedanke daran, über jedes dieser Bücher noch einmal einzeln und ausführlich zu schreiben, regelrecht überfordert.
Deshalb habe ich mir nun vorgenommen, einmal kurz von den Titeln zu erzählen, die zum Teil schon länger auf meinem Rezensionsstapel liegen.

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Der Roman, der vermutlich am längsten auf diesem Stapel liegt, ist „Blackbird“ von Matthias Brandt. Ein paar Kollegen und ich hatten schon im letzten Sommer die Idee, dieses Buch gemeinsam zu lesen und dann darüber zu sprechen, aber irgendwie haben wir es nie geschafft, einen Termin zu finden, an dem wir alle Zeit hatten und so rutschte „Blackbird“ bei den Titeln, über die ich schreiben wollte, immer weiter zurück.

Hauptfigur ist der 15-jährige Motte, der eigentlich genug mit der Scheidung seiner Eltern und dem ersten Liebeskummer zu tun hätte, als er erfährt, daß sein bester Freund an Krebs erkrankt ist.
Es fällt Motte immer schwerer, Bogi im Krankenhaus zu besuchen und so zu tun, als ob alles normal sei. Also kapselt er sich mehr und mehr ab. Nicht nur von Bogi, sondern auch von allen anderen.

„Blackbird“ war ein Buch, mit dem ich ziemlich zu kämpfen hatte. Als Mutter von zwei Jungs fällt es mir unheimlich schwer, über lebensbedrohliche Krankheiten bei Kindern zu lesen. Deshalb kämpfte ich beinahe mehr mit dem Buch, als der Protagonist Motte mit seinem schlechten Gewissen. Dabei bedient sich Brandt eines jugendlich „verschlufften“ Erzählstils, der mich auch nicht wirklich mit dem Thema versöhnen konnte.
Kein schlechtes Buch, das nun wirklich nicht, aber einfach nichts für mich.

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Auch schon seit dem letzten Jahr wartet Dana von Suffrins Debütroman „Otto“ auf eine Besprechung. Auf der Frankfurter Buchmesse hatte ich die große Freude zu einer Lesung von Dana von Suffrin eingeladen zu werden und eigentlich wollten Andi und ich damals noch im Podcast in einer unserer alten Wohnzimmerfolgen darüber sprechen, aber dann kam verschiedenes dazwischen und auch „Otto“ verlor sich in meinem Rezensionsstapel.

Als der Patriarch Otto im Krankenhaus landet, ist für Timna und ihre Schwester Babi schnell klar, daß sie nicht in der Lage sind, ihrem Vater die rund-um-die-Uhr Betreuung zukommen zu lassen, nach der er verlangt. Nicht so sehr, weil er sie wirklich brauchen würde, aber Otto ist nur dann glücklich, wenn immer jemand da ist, den er herumkommandieren kann und der sich dennoch aufopferungsvoll um ihn kümmert. Von seinen alten siebenbürgischen Kameraden wird im schnell eine Pflegerin besorgt, die sich zum gewöhnungsbedürftigen Familienzuwachs entwickelt.

Rückblickend erzählt Timna von dem verrückten Leben mit Otto und den skurrilen Erlebnissen der Familie. Das schafft Dana von Suffrin mit so viel Wärme und Humor, daß ich hoffe, bald mehr von ihr lesen zu können.

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Ein weiterer Titel, der nun schon lange auf seine Besprechung wartet, ist „Melmoth“ von Sarah Perry.

Melmoth ist eine unheimliche Sagengestalt, die verzweifelte Menschen in ihren Bann zieht, sie mit sich nimmt und erst dann wieder freigibt, wenn sie bereit sind, zu sterben.
Helen glaubt nicht an solche Schauermärchen, doch dann zeigt ihr ihr guter Freund Karel ein Manuskript, daß er von einem Bekannten kurz vor dessen Tod bekommen hat und in dem dieser die Geschichte seines Lebens und seine Begegnung mit eben dieser Sagengestalt beschreibt. Karel wirkt so unruhig und paranoid, daß Helen einwilligt, das Manuskript zu lesen, doch dann verschwindet Karel plötzlich spurlos und Helen beginnt sich zu fragen, ob Melmoth nicht doch mehr sein könnte, als ein bloßes Hirngespinst.

„Melmoth“ ist eine höchst literarische Schauergeschichte, die man ganz wunderbar im Winter lesen kann. So mitreißen und begeisterten wie in „Die Schlange von Essex“, konnte mich Sarah Perry mit „Melmoth“ aber leider nicht.

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Ein dünnes Büchlein ist „Der Hund“ von Akiz.
Auf weniger als 200 Seiten erzählt er von Mo, einem Koch, der in einer Dönerbude gegenüber des berühmt-berüchtigten Sternerestaurants El Cion arbeitet.
Als eines Tages ein Straßenjunge in der Dönerbude aushelfen soll, entdeckt Mo, daß der Junge, den die anderen nur den „Hund“ nennen, ein kulinarisches Talent wie kein zweiter hat. Mo beschließt, zusammen mit dem Hund im El Cion anzuheuern und dort Karriere zu machen, doch dabei setzt er Ereignisse in Gang, die das Leben aller Beteiligten völlig aus den Fugen geraten lassen.

„Der Hund“ ist ein knappe, bitterböse Geschichte, die ein wenig an Süskinds „Parfum“ erinnert. Von der ziemlich derben Sprache sollte man sich dabei nicht abschrecken lassen.

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Sayaka Murata wurde mit ihrem Roman „Die Ladenhüterin“ bekannt, im Sommer erschien nun ihr neustes Buch „Das Seidenraupenzimmer“.

Natsuki fühlt sich schon als Kind als Außenseiterin. Ihre Eltern bevorzugen klar die Schwester und auch an der Schule ist sie nicht übermäßig beliebt.
Nur in den Ferien, die sie mit der ganzen Verwandschaft im Haus der Großeltern verbringt, fühlt sie sich wirklich wohl, denn in ihrem gleichaltrigen Cousin Yu hat sie einen Seelenverwandten gefunden.
Der erzählt, ein Außerirdischer zu sein und auch Natsuki glaubt, magische Fähigkeiten zu besitzen. So fühlen sich die beiden beieinader sicher und akzeptiert.
Doch zurück an der Schule wird Natsuki von einem Lehrer sexuell mißbraucht und so beschließt sie, daß sie sich Yu einmal hingeben will, bevor sie wohl sterben muss. Das verursacht einen Skandal in der Familie, der Natsuki und Yu für viele Jahre auseinanderreißt.
Erst als die beiden schon erwachsen sind, sehen sie sich wieder. Natsuki ist inzwischen mit einem Mann verheiratet, der nicht mit ihr schlafen möchte. – Eine Absprache, die beide sehr zu schätzen wissen.
Doch als ihre Familien immer mehr Druck machen, daß es doch an der Zeit wäre, ein Kind zu bekommen, wünscht sich Natsuki immer mehr aus der Gesellschaft zu fliehen, in der Menschen offenbar nur Reproduktionsmaschinen sind.
Zusammen mit ihrem Mann fährt sie in die Berge, um Yu zu besuchen, der mittlerweise im abgelegenen Haus der Großeltern lebt. Alle drei wünschen sich ein Leben fernab der Anforderungen der Gesellschaft. Doch schon bald werden sie selbst an diesem abgeschiedenen Ort von den Erwartungen ihrer Familien und der Vergangenheit eingeholt…

Während „Die Ladenhüterin“ noch halbwegs zahm daherkam, empfand ich „Das Seidenraupenzimmer“ schon hart an der Grenze des Erträglichen. Wer Trigger-Warnungen für Bücher braucht, der sollte definitiv nicht nach diesem Titel greifen!

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Zu guter letzt wollte ich euch noch ein Hörbuch ans Herz legen, das mich wirklich unheimlich berührt hat: „Wir haben Raketen geangelt“ von Karen Köhler, gelesen von der Autorin zusammen mit Sandra Hüller.

Als ich Karen Köhler letztes Jahr zur Präsentation ihres Romans Miroloi kennenlernen durfte, las sie uns auch die ersten Kapitel vor, was ein wirklich unheimlich schönes Erlebnis war.
Karen Köhler ist ja ausgebildete Schauspielerin und hat eine extrem angenehme Stimme, dazu kam auch, daß „Miroloi“ ja einen sehr eigenen Rhythmus hat, den die Autorin natürlich perfekt traf. Mit dieser Stimme im Ohr hatte ich dann auch keinerlei Schwierigkeiten, in das Buch mit seiner zum Teil eigenwilligen Sprache zu hineinzufinden.

Nachdem mich Karen Köhler also sowohl als Autorin, als auch als Sprecherin völlig begeistert hatte, wollte ich mir ihre Kurzgeschichtensammlung „Wir haben Raketen geangelt“ unbedingt als Hörbüch anhören.
Blöd nur, wenn man das im Auto macht, denn manche Geschichten bewegten mich derart, daß ich völlig verheult über österreichische Bergpässe kurvte. – Nicht zur Nachahmung empfohlen!

Eine große Empfehlung aber für „Wir haben Raketen geangelt“ und das wirklich unheimlich schön eingelesene Hörbuch, bei dem die Stimmen der beiden Sprecherinnen so gut aufeinander abgestimmt waren, daß ich manchmal wirklich Mühe hatte, sie auseinanderzuhalten.

Gewinnspiel: #eichborncanlit

Wenn die Frankfurter Buchmesse heute Abend eröffnet wird, wird vieles sehr anders sein, als in den Jahren zuvor.
Statt uns auf den Fluren der Messehallen zu treffen, in die Arme zu fallen und über die neusten Bücher zu sprechen, werden die meisten von uns nur online an den Angeboten der Verlage teilnehmen können. Natürlich ist das ein bißchen traurig, trotzdem aber auch wirklich schön zu sehen, was sich die Verlage alles einfallen lassen, um die Buchmesse zu den Leser:innen nach Hause zu bringen.

Deshalb freue ich mich ganz besonders, daß ich auch ein Teil des Ganzen sein kann und einen von euch in Kooperation mit dem Eichborn Verlag beschenken darf!

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Unter dem Hashtag #eichborncanlit macht das Eichborn-Team auf die Neuerscheinungen seiner Autor:innen aus dem Buchmesse-Gastland Kanada aufmerksam.
Vier spannende Titel wurden da zu einem Buchpaket geschnürt, das ich diese Woche an einen von euch verlosen darf!

Im #eichborncanlit Paket findet ihr diese Bücher:

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Michael Crummey: Die Unschuldigen

Der elfjährige Evered und seine zwei Jahre jüngere Schwester Ada wachsen unter kargen Bedingungen auf. Sie sind die Kinder von Fischern, die allein inmitten der kanadischen Wildnis leben.
Als ihre Eltern sterben, sind die Geschwister auf sich allein gestellt; sie wissen nur das von der Welt, was sie von Mutter und Vater gelernt haben. Also führen sie deren hartes Leben nach Kräften weiter. Bis die Loyalität der Geschwister auf die Probe gestellt wird und sie für ihre Zukunft kämpfen müssen.
 
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Marie-Renée Lavoie: Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau 
 
Die 48-jährige Diane wird von ihrem Mann verlassen. Sie sei ihm zu langweilig geworden. Und er habe übrigens eine neue, natürlich ein paar Jahre jüngere, Freundin …
Diane macht sich auf die Suche nach ihrem Selbstvertrauen und erlebt Zusammenbrüche in Umkleidekabinen, kleine Rachen an der Geliebten sowie der ewig vorwurfsvollen (Ex-)Schwiegermutter, Weißweinpartys am frühen Nachmittag und Zerstörungsorgien im ehemals trauten Heim. 
Ein schreiend komischer und aufs Beste unterhaltender Roman.
 
Außerdem hat die Eichborn-Familie Zuwachs bekommen; nämlich mit ihrer eigenen Taschenbuch-Reihe!
 
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Anaïs Barbeau-Lavalette: So nah an den glücklichen Stunden
 
Als Anaïs geboren wird, ist das Band zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter längst zerschnitten. Als junge Frau hatte die Großmutter ihren Mann und die zwei kleinen Kinder verlassen – für ihre Nachkommen ist sie eine Fremde. Erst nach ihrem Tod will Anaïs wissen, wer diese Frau war, die ihr Leben so rigoros geführt hat, und folgt ihren Spuren um die Welt. Es entsteht das bewegende Porträt einer faszinierenden Künstlerin, die immer ihren Platz suchte – unsentimental und liebevoll zugleich.
 
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Esi Edugyan: Washington Black
 
Barbados, 1830: Der Sklavenjunge Washington Black lebt und arbeitet auf einer Zuckerrohrplantage unter unmenschlichen Bedingungen. Bis er zum Leibdiener Christopher Wildes auserwählt wird, dem Bruder des brutalen Plantagenbesitzers. Christopher ist Erfinder, Entdecker, Naturwissenschaftler – und Gegner der Sklaverei. Das ungleiche Paar flieht von der Plantage in einem selbst gebauten Heißluftballon. Es beginnt eine abenteuerliche Flucht, die die beiden um die halbe Welt führen wird.
 
„Washington Black“ ist übrigens eine große persönliche Empfehlung von mir!
Letztes Jahr habe ich dieses Buch bereits gelesen und dann noch das große Glück gehabt, Esi Edugyan persönlich kennenlernen zu dürfen und ein Interview mit ihr zu führen.
Meine Rezension von „Washington Black“ findet ihr hier, das Interview mit Esi findet ihr hier.
 
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Und so könnt ihr teilnehmen:
Folgt meinem Blog und/oder Instagram-Account, liked diesen Beitrag und schreibt mir in einem Kommentar, was ihr dieses Jahr auf der Buchmesse vermissen werdet und auf welche Aktionen der Verlage ihr euch schon freut.
Wer auf dem Blog und auf Insta abonniert, liked und kommentiert hüpft sogar zweimal in den Lostopf.
Das Gewinnspiel läuft bis zum Samstag, den 17.10.2020.
Am Sonntag, den 18.10.2020 wird ein Gewinner ausgelost.
Das Buchpaket wird dem Gewinner dann direkt vom Eichborn Verlag zugeschickt.
 
Ich drücke euch allen die Daumen!
 
 
 
 

Teilnahmebedingungen:
Verlost wird ein Buchpaket mit den vier Titeln der #eichborncanlit Aktion.
An der Verlosung dürfen alle volljährigen Abonnenten des „Lesen… in vollen Zügen“-Blogs und/oder des Instagram-Accounts teilnehmen. 
Um an der Verlosung teilzunehmen, müsst ihr lediglich bis Samstag, den 17.10.2020 um 23:59 Uhr einen Kommentar unter diesem Blogbeitrag oder Instagram-Post schreiben. 
Verlost wird der Gewinn am Sonntag, den 18.10.2020.
Der Gewinner wird durch die zufällige Ziehung unter allen Teilnehmern, die rechtzeitig einen Kommentar dalassen, ermittelt und von mir per E-Mail oder Direktnachricht über den Gewinn informiert.
Mit der Teilnahme am Gewinnspiel willigen ihr in die Erhebung und Verwendung  eurer E-Mail-Adresse ein. Diese personenbezogenen
Daten werden zur Durchführung und Abwicklung des Gewinnspiels erhoben, gespeichert und verarbeitet, um euch im Falle eines Gewinns zu
benachrichtigen. Eine Weitergabe der Daten an Dritte findet nicht statt, ausgenommen davon ist jedoch die Übermittlung der Adresse des Gewinners an den Eichborn Verlag, der das Buchpaket direkt an den Gewinner versendet.
Ihr könnt die Einwilligungen jederzeit durch eine Nachricht an mich widerrufen. Eure Daten werden anschließend gelöscht.

Kurz und knapp: Empfehlungen aus dem Podcast #1

In den letzten Monaten war ich ja auf diesem Blog nur recht sporadisch aktiv.
Der Grund dafür war in erster Linie der Lockdown, durch den ich drei Monate lang keine freie Minute für mich hatte.
Ich kann mich wirklich nur vor den Laptop setzen und konzentriert schreiben, wenn kein Kind um mich herumspringt und meine Aufmerksamkeit fordert. Ach ja, und natürlich wäre es dazu auch hilfreich, tatsächlich vor einem Laptop sitzen zu können. Wenn der aber vom großen Sohn beansprucht wird, um seine Schulaufgaben machen zu können, dann wird schnell klar, daß für das Bloggen kaum Zeit bleibt.

Ein weiterer Grund, der zu der Corona-Krise dazu kam, war daß der Seite an Seite – Podcast meines Kollegen Andi und mir Anfang März seinen Relaunch erlebte und seitdem ganz professionell von Hugendubel produziert wird.
Während Andi und ich also früher in unseren „Wohnzimmerfolgen“ einfach losredeten und uns keinerlei Gedanken über Form und Gliederung machten, werden die neuen Episoden natürlich wesentlich intensiver vorbereitet. Dazu gehört auch, daß wir ein Skript schreiben, um unserer Redakteurin eine Art Fahrplan für die Folge zu geben und auch um uns abzustimmen, über welche Themen wir diskutieren wollen.
Nun ist es so, daß sich die Skripte, die wir schreiben, einfach nicht auf den Blog übertragen lassen. Dazu sind sie viel zu stichpunktartig und zu unvollständig.
Wenn ich dann aber bereits ein Skript zu einem Buch angefertigt und auch schon im Podcast ausführlich davon erzählt habe, stelle ich inzwischen fest, daß ich bei den meisten Titeln wenig hinzufügen kann. Es fühlt sich dann für mich fast so ein, als würde ich nur noch vom Podcast abschreiben.
Deshalb dachte ich, daß es doch schön wäre, die Titel an dieser Stelle noch einmal kurz und knapp vorzustellen und wenn ihr Lust bekommen habt, mehr zu erfahren, dann könnt ihr das ganz einfach in der entsprechenden Podcast-Folge tun.

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Jasmin Schreiber – Marianengraben

In unserer ersten professionellen Folge, die ihr als Folge #5 hören könnt (immerhin hatten wir vier Episoden bereits mit liebevollem Dilettantismus und wenig Ahnung von Schnittprogrammen in Andis Wohnzimmer aufgenommen) stellte ich Jasmin Schreibers Debütroman „Marianengraben“ vor.

Darin wird die Geschichte von Paula erzählt, die nicht über den Tod ihres kleinen Bruders Tim hinwegkommen kann. Als sie aber eines Nachts auf dem Friedhof einbricht, macht sie eine Begegnung, die ihrem Leben eine völlig neue Richtung geben und sie auf einen unerwarteten Roadtrip schicken wird.

In „Marianengraben“ gelingt Jasmin Schreiber der Spagat zwischen Humor und Traurigkeit perfekt. Ich habe gelacht, ich habe geweint, ich habe die schönsten Sätze daraus auswendig gelernt… Was will man mehr?

Nachzuhören in Folge #5 Nackt im Hotel Corona

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Katya Apekina – Je tiefer das Wasser

Kaum tauchen wir aus dem Marianengraben auf, erwarten uns schon die nächsten Abgründe mit Katya Apekinas literarischen Erfolgsdebüt „Je tiefer das Wasser“.

Als sich ihre Mutter versucht, das Leben zu nehmen, werden die Schwestern Edie und Mae von Louisiana nach New York geschickt, wo sie von nun an bei ihrem Vater, einem berühmten Schriftsteller, leben sollen. Zu dem hatten die beiden zwar keinerlei Kontakt seit er die Familie kurz nach Maes Geburt verließ, trotzdem kümmert er sich sofort rührend um seine Töchter. Es scheint, als wolle er die verlorenen Jahre wieder gutmachen, doch seine immer besitzergreifendere Art bereitet Edie schnell Kopfzerbrechen. Sie sieht ihre Loyalitäten klar bei der Mutter und bricht auf, um sie aus der Nervenklinik zu befreien. Doch ab dem Zeitpunkt, an dem die Schwestern voneinander getrennt sind, entwickelt sich zwischen den Mädchen und dem jeweiligen Elternteil eine immer verstörender werdende Dynamik.

„Je tiefer das Wasser“ ist ein Roman, der dem Leser die volle Dramatik der Geschichte nur nach und nach preisgibt. Erzählerisch macht das Katya Apekina mit verschiedenen Erzählebenen und Perspektiven so gekonnt, daß ich fast gar nicht glauben kann, daß dies ihr erster Roman ist.
Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt darauf, was wir von dieser Autorin noch alles in Zukunft erwarten dürfen.

Nachzuhören in Folge #6 Germanys next Lovestory

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Angie Kim – Miracle Creek

Ein Gesellschaftsroman, der auch ein Thriller sein könnte, ist „Miracle Creek“ von Angie Kim. Darin geht es um die Bewohner der Kleinstadt Miracle Creek, in der ein schreckliches Unglück passiert ist: bei einer Explosion starben zwei Menschen, darunter der achtjährige Henry. Nun ist ausgerechnet seine Mutter Elizabeth wegen Mordes angeklagt; doch ist der Fall wirklich so klar, wie es zunächst den Anschein hat?

Als die Betroffenen ihre Aussagen machen, begreift man als Leser schnell, daß jeder etwas zu verheimlichen hat und das der Fall nur gelöst werden kann, wenn man die Widersprüche in den Aussagen aufdeckt und so der Wahrheit auf die Spur kommt.
Ein wirklich spannender und überraschend vielschichtiger Roman, der mich ein wenig an „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ von Joël Dicker erinnert hat.

Nachzuhören in Folge #8 Üble Überraschung

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James Baldwin – Giovannis Zimmer

Einen modernen Klassiker haben sich Andi und ich in Folge #9 mit „Giovannis Zimmer“ von James Baldwin vorgenommen.

„Giovannis Zimmer“ zählt als einer der Klassiker der schwulen Literatur und wäre in den 1950er Jahren beinahe nicht erschienen; immerhin riet Baldwins Verleger ihm, das Manuskript zu verbrennen. Nun werden Baldwins Werke seit zwei Jahren in einer großartigen Neuübersetzung von Miriam Mandelkow bei dtv neu aufgelegt.

David ist ein amerikanischer Auswanderer, der gemeinsam mit seiner Verlobten in Paris lebt. Als die aber alleine Urlaub in Spanien macht, verliebt sich David in Giovanni, bei dem er auch eine Zeitlang unterkommt.
Es ist nicht die erste homosexuelle Erfahrung für David, doch in den USA, wo Beziehungen zwischen Männern bei Strafe verboten sind, hat er einen regelrechten Hass auf sich und seine Gefühle entwickelt. Im liberalen Paris sieht er zum ersten Mal die Möglichkeit zu leben, ohne einen Teil seiner selbst verleugnen zu müssen. Trotzdem fühlt er, daß die Zeit mit Giovanni schon bald ein Ende finden wird.

„Giovannis Zimmer“ liest sich – trotz seiner mittlerweile siebzig Jahre – immer noch unheimlich modern, was man wohl der wirklich großartigen Neuübersetzung zuschreiben muss. Doch der innere Kampf, den David mit sich ausfechten muss, lässt einen die Unterdrückung, die queere Menschen noch vor einigen Jahrzehnten erfahren mussten, auf eine fast schon beklemmende Weise miterleben.
Baldwins berühmtestes Buch ist daher keine leichte Lektüre, aber eine absolut lohnende!

Nachzuhören in Folge #9 Fast untergegangene Bücher

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Franziska Hauser – Die Glasschwestern

Dunja und Saphie sind Zwillinge, doch sie haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Dann aber sterben die Männer der beiden am selben Tag völlig überraschend; ein Ereignis, das die Schwestern völlig aus der Bahn wirft.
Saphie, die ein Hotel in der Kleinstadt im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet leitet, in der die Zwillinge aufgewachsen sind, stürzt sich in die Arbeit, während Dunja zunächst einmal gar nicht mehr weiß, was sie nun tun soll. Ihre Kinder sind fast erwachsen und behandeln die Mutter wie eine unliebsame Mitbewohnerin, auf die Arbeit als DaF-Lehrerin kann sie sich nicht wirklich konzentrieren und plötzlich steht die Frage im Raum, ob es nicht Zeit ist, noch einmal neu anzufangen.
Und so zieht Dunja in das Hotel ihrer Schwester, um sich neu zu orientieren, doch nach und nach scheint es, als müssten die Zwillinge das Leben der jeweils anderen übernehmen, um wieder glücklich werden zu können.

„Die Glasschwestern“ ist ein Roman, der viele Themen anschneidet: Tod, Trauer, Depression und die Abnabelung der Kinder, der aber auch auf die deutsche Geschichte kurz vor der Wende eingeht und sich mit Flucht und Verrat beschäftigt. Lauter schwierige Themen, so könnte man meinen, trotzdem liest sich dieses Buch mit einer regelrechten Leichtigkeit und unbeschwertem Humor. Denn – das wird schnell klar – die beiden Schwester und ihre Familie lieben sich trotz all des Dramas und als Leser kann man nicht anders, als sich zu wünschen, Teil dieser Familie zu sein.

Nachzuhören in Folge #9 Fast untergegangene Bücher

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Mariam Kühsel-Hussaini – Tschudi

Ende des 19. Jahrhunderts hat der Leiter der Nationalgalerie in Berlin, Hugo von Tschudi, den ehrgeizigen Plan, die besten Vertreter des neuen französischen Impressionismus in sein Museum zu holen. Er ist begeistert von Monet, Manet, Renoir und Degas und erkennt als einer der Ersten, wie revolutionär diese neue Kunstform ist. Doch das ruft auch viele Neider auf den Plan. Schon bald entwickelt sich die Frage, ob diese Gemälde ausgestellt werden sollen, zu einem Politikum, das sich bis in die höchsten Kreise um Kaiser Wilhelm II. zieht.

Auch als begeisterter Kunst- und Museumsfan muss ich zugeben, daß ich zuvor noch nie von Hugo von Tschudi gehört hatte. Und das, obwohl die Bilder von van Gogh oder Degas, die ich schon oft in der Neuen Pinakothek in München gesehen hatte, dank der Tschudi-Spende nach München kamen, wo er Museumsleiter wurde, nachdem er in Berlin in Ungnade gefallen war.
Dabei war Hugo von Tschudi ein absolut faszinierender Charakter: zwar war er mit allen bedeutenden Künstlern der damaligen Zeit befreundet oder zumindest bekannt, trotzdem gibt es kein Porträt von ihm, da sein Gesicht von Lupus völlig entstellt war.

Mariam Kühsel-Hussaini schreibt über diesen faszinierenden Mann in einem Stil, der wie mit dem Pinsel eines Impressionisten aufgetragen scheint; sie erschafft neue Worte und spielt begeistert mit den Möglichkeiten der Sprache.
Es würde mich wirklich wundern, wenn dieser Titel nicht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises auftauchen würde.

Nachzuhören in Folge #10 First Date im Fetischshop

 

Nebeliger November

Willkommen im November!
Der Monat begrüßt mich mit nassgrauem Wetter und in den Isarauen, die ich von meinem Fenster aus überblicken kann, hängt noch immer der Nebel…
Zeit, es sich mit einem dicken Stapel Romane und einer Tasse Tee unter der Kuscheldecke gemütlich zu machen!

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Meine ersten beiden Bücher kommen dann auch gleich sehr herbstlich daher, was Titel und Cover betrifft, nämlich „Herbst“ von Ali Smith und „Fuchs 8“ von George Saunders.

Auf „Herbst“ bin ich schon sehr gespannt, schließlich schwärmt Jen Campbell auf ihrem YouTube-Kanal ständig von Smiths „Jahreszeiten-Quartett“.
Während der letzte Band der Reihe, „Summer“, nach „Winter“ und „Spring“ bald auf Englisch erscheinen wird, wurde nun mit „Herbst“ der erste Band, der auch für den Booker Prize nominiert war, auf Deutsch vorgelegt.

Ein ganz schmales Bändchen ist dagegen „Fuchs 8“ von George Saunders.
Saunders war lustigerweise im gleichen Jahr wie Ali Smith für den Booker Prize nominiert, hat diesen aber dann auch gewonnen und zwar für seinen einzigartigen Roman „Lincoln im Bardo“.
„Fuchs 8“ dagegen ist eine Kurzgeschichte, die illustriert und als kleine Einzelausgabe herausgebracht wurde.
Da mir Saunders innovativer und außergewöhnlicher Stil in „Lincoln im Bardo“ sehr imponiert hat, bin ich nun gespannt auf diese Geschichte, die aus der Sicht eines Fuches erzählt wird.

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Die nächsten beiden Bücher scheinen auf den ersten Blick nichts gemein zu haben, außer daß sie schmale Bändchen von jeweils deutlich unter 200 Seiten sind, für mich sind sie jedoch stark mit meinen Erinnerungen an die Frankfurter Buchmesse verknüpft.

Mona Høvring war ja als Vertreterin des Gastlandes Norwegen auf die Messe gekommen, wo Isa von it’s Vonk ein tolles Interview mit ihr geführt hat, das ihr hier sehen könnt.
Auf Isas Empfehlung hin hatte ich deshalb auch noch vor der Messe ihren Roman „Was helfen könnte“ gelesen und war einfach begeistert, wie diese Autorin es schafft, große Panoramen mit wenigen Sätzen zu zeichnen.
Deshalb musste ihr neustes Buch „Weil Venus bei meiner Geburt ein Alpenveilchen streifte“ dann auch unbedingt auf meinen Novemberstapel.

Darin geht es übrigens um zwei Schwestern, genauso wie im nächsten Buch, das ich mit der Buchmesse verbinde: „Die langen Arme“ von Sebastian Guhr.
Guhr war der Gewinner der zweiten Staffel des Blogbuster-Preises, von dem nun auf der Messe der Startschuss zur dritten Staffel gegeben wurde.
Und dieses Mal bin ich mit dabei in der Blogger-Jury!
Wer also ein fertiges Romanmanuskript zu Hause hat, der sollte auf die Website des Blogbuster Awards gehen und überlegen, ob er sich nicht bewerben möchte.
Dabei lesen zehn Blogger die Manuskripte und wählen jeweils einen Favoriten aus. Diese Longlist geht dann an die Fachjury und der Gewinnertitel wird in dieser Staffel bei Eichborn verlegt.
Doch auch viele Autoren, die nicht den ersten Preis gewonnen haben, schafften es in vergangenen Staffeln, durch die Aufmerksamkeit, einen Verlagsvertrag zu ergattern, wie zum Beispiel Gunnar Kaiser mit seinem Roman „Unter der Haut“.
Ein wirklich spannendes Projekt, auf das ich mich schon ungemein freue!

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Auf der Buchmesse traf ich beim KiWi-Verlag dann auch die Autorin eines meiner nächsten Titel: Dana von Suffrin stellte dort nämlich ihren Debütroman „Otto“ vor und brachte die ganze Runde sehr zum Lachen…

Wer mich auch immer wieder zum Schmunzeln bringt, ist ja Philipp Tingler, von dem ich bisher tatsächlich noch nichts gelesen habe, dessen Videos mit Nicola Steiner ich aber gerne mal in Dauerschleife sehe. Schaut einfach mal unter „Steiner/Tingler“ bei YouTube! Die Dynamik der beiden macht einfach unheimlich Spaß, da bin ich schon gespannt, auf Tinglers neusten Roman „Rate, wer zum Essen bleibt“.

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Gleich drei Titel, die sich mit Frauen und ihren Lebensentscheidungen beschäftigen, liegen diesen Monat auf meinem Lesestapel:
In „Drei Wünsche“ von Laura Karasek geht es um drei Frauen um die dreißig, die wichtige Lebensentscheidungen treffen müssen…
Etwas weiter im Leben sind wir dann bei „Die Zehnjahrespause“ von Meg Wolitzer. Hier geht es um vier Frauen Anfang vierzig, die alle feststellen, daß es eben nicht einfach ist, Kinder und Karriere gut miteinander zu vereinbaren und die nun die Weichen für ihr zukünftiges Leben stellen müssen.
Wolitzers letzter Roman „Das weibliche Prinzip“ hatte es ja recht schwer, weil es als feministisches Buch vermarktet wurde, obwohl der Fokus der Geschichte eigentlich woanders lag. Trotzdem hatten mich ihre starken, sehr lebensnahen Charaktere beeindruckt, weshalb ich ihrem neuen Buch gerne nochmal eine Chance geben wollte.
In „Tage des Verlassenwerdens“ von Elena Ferrante geht es dann, wie man sich schon denken kann, um das Ende einer Ehe…
Während ich die Neapolitanische Saga zwar ganz nett, aber nicht unbedingt beeindruckend fand, gehörte ihr früher Roman „Frau im Dunkel“, das im Frühling erstmal auf Deutsch erschien zu meinen Lesehighlights des Jahres.
„Tage des Verlassenwerdens“ soll ähnlich sein, also habe ich sehr hohe Erwartungen an dieses Buch!

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Zum Schluß werden wir noch ein bißchen klassisch…
„Der unsichtbare Roman“ von Christoph Poschenrieder handelt von Gustav Meyrink, dem Autor des „Golem“. Der soll hier gegen Honorar ein Buch schreiben, das den Freimaurern die Schuld am Ersten Weltkrieg gibt. Das hört sich für mich nach einem unheimlich spannenden Roman an!

Und weil mittlerweile nun wirklich jeder mitbekommen haben dürfte, wie sehr ich gut illustrierte Bücher liebe, freue ich mich diesen Monat sehr auf „Die Nibelungen“ aus der Insel-Bücherei, die von Burkhard Neie illustriert wurden. Ich bin ja ein großer Fan von Neies Illustrationsstil und freue mich schon sehr auf diesen Augenschmaus…
In der Insel-Bücherei gibt es von Neie übrigens bereits zwei Bände mit deutschen Sagen und zwei mit Balladen, die ich wirklich nur jedem ans Herz legen kann!

Das ist er also, mein November-Stapel…
Unglaublich, wie schnell das Jahr vergeht!
Kommt gut und ohne Schnupfen durch den Monat!

Verfrorene Grüße,
Eure Andrea

Auf Achse im Oktober!

Es wird nun aber wirklich Herbst…
Die Stürme wehen, die Novitätenstapel erreichen Höhen, die mich ins Schwitzen bringen und neben dem Lesen steht einiges an im Oktober!

Mitte des Monats geht es mit den weltbesten Kollegen auf die Frankfurter Buchmesse. Mein Notizbuch platzt schon aus allen Nähten, so viele Termine hab ich mir eingetragen, und ich bin wirklich sehr gespannt, was wir dort alles erleben werden.

Ende des Monats sollte es dann hoffentlich einmal wieder Zeit für eine neue Folge von „In vollen Zügen nach…“ werden. Diesmal soll es nach Wien gehen, allerdings mit beiden Kindern und die haben schon sehr eigene Pläne, was sie dort anstellen wollen!
Ich hoffe aber trotzdem, daß vielleicht ein, zwei Buchhandlungen auf dem Weg liegen werden, über die ich dann berichten kann. Also, liebe Wiener: Welche Buchhandlungen sollte ich unbedingt gesehen haben?

Wie schon erwähnt wird der Novitätenstapel nicht kleiner und ich bin schon wahnsinnig gespannt auf die Titel, die ich mir diesen Monat ausgesucht habe:

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Beginnen wir einmal mit ganz viel Liebe für den Diogenes Verlag, der einen Löwenanteil zu meinem Oktoberstapel beigetragen hat.

Wie eigentlich jedes Jahr gibt es etwas Neues von meiner Lieblingsautorin Amélie Nothomb, von der ich seit meiner Ausbildung jedes Buch verschlinge. „Klopf an dein Herz“ kam schon Anfang des Jahres auf Englisch auf den Markt und so hatte ich bereits im englischsprachigen BookTube sehr begeisterte Besprechungen dazu gesehen. Nun hat das Warten endlich ein Ende!

Ein weiterer Autor, von dem jede Neuerscheinung sofort auf meiner Wunschliste landet, ist Martin Suter. Mit „Allmen und der Koi“ legt er den mittlerweile sechsten Band der Allmen-Reihe vor und auch, wenn nicht jeder Suter-Fan automatisch zum Allmen-Fan wird, mag ich die Charaktere einfach unheimlich gern.

In meinem Sommerurlaub hatte ich „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ von Thomas Meyer gelesen, nun erschien der zweite Teil „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“.
In den letzten Monaten habe ich ja langsam wieder angefangen, Hörbücher zu hören und gerade beim ersten Wolkenbruch-Roman bedauerte ich sehr, kein Hörbuch davon zu haben, denn auch wenn man jiddisch wohl ausspricht, wie es geschrieben wird, hatte ich oft keine Ahnung, wie betont wird.
Gestern habe ich dann schon mal ins Hörbuch reingehört und war sofort begeistert von Thomas Meyers Stimme. Jiddisch und ein Schweizer Akzent! – Das freut das Ohr!

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Weiter geht es mit einer ganzen handvoll Romanen:

„Gespräche mit Freunden“ von Sally Rooney hatte mein Kollege Andi ja schon im letzten Podcast vorgestellt und er war nicht wirklich überzeugt davon, allerdings lese ich ausschließlich absolut begeisterte oder komplett enttäuschte Rezensionen. Love it or hate it? Da bilde ich mir immer gern meine eigene Meinung.

Margaret Atwoods neustes Buch „Die Zeuginnen“ habe ich schon gelesen, da es allerdings im September erst auf den Markt kam, nachdem ich meinen Monatsstapel vorgestellt hatte und ich weiß, daß sich einige Leser an den Bildern in meiner Rubrik „Mit Büchern durch das Jahr“ orientieren, um bestimmte Titel wiederzufinden, von denen sie sich nur noch an das Cover erinnern, wird dieser Titel sozusagen nochmal optisch nachgereicht. Die Besprechung könnt ihr allerdings jetzt schon lesen.

Während alle über die Shortlist des Deutschen Buchpreises diskutieren, ist heimlich still und leise die Auswahlliste des Bayerischen Buchpreises erschienen. Mit dabei: „Levi“ von Carmen Buttjer.
Auch so ein Titel, auf den ich mich diesen Monat schon sehr freue!

Ein weiteres „Love it or hate it“-Buch ist wohl „Es ist Sarah“ von Pauline Delabroy-Allard. Wie gesagt; da bilde ich mir gern eine eigene Meinung.

Worauf ich mich aber schon wirklich lange freue, ist „Melmoth“ von Sarah Perry. Ihr Roman „Die Schlange von Essex“ hat mich vor zwei Jahren nach anfänglichen Startschwierigkeiten absolut begeistert, weshalb ich auch große Erwartungen an ihr neues Buch habe.

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Wer meinen Blog nicht erst seit gestern verfolgt, dürfte inzwischen wissen, wie sehr ich die Illustrationen von Kat Menschik liebe, weshalb ihr neustes Buch „Die Puppe im Grase – Norwegische Märchen“ natürlich auf meinem Lesestapel gelandet ist.
Und was für eine schöne Einstimmung auf das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse!

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Weil ich nicht nur gerne Bücher, sondern auch Bücher über Bücher lese, freue ich mich diesen Monat sehr über „Leseglück“ von Mareike Fallwickl und Florian Valerius und „Nervenkitzel“ von Miriam Semrau. Nachdem ich so gut wie nie Krimis lese, ist besonders letzteres eine tolle Möglichkeit für mich, mein Krimi-Wissen für den Laden etwas aufzupolieren ohne mich zu Tode fürchten zu müssen.

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Ich sage ja immer: „Es ist kein guter Monat, wenn keine Graphic Novel dabei ist!“, dieser Monat sollte demnach großartig werden!
Mit dabei sind nämlich „Hawking“, die neue Graphic Novel-Biografie von Ottaviani & Myrick, von denen ich auch schon den Band über Richard Feynman sehr begeistert gelesen habe. Dann noch „Natürliche Schönheit“ von Nanna Johansson, die sich feministische Themen im Stil ihrer Landsfrau Liv Strömquist vornimmt und „West, West Texas“ von Tillie Walden. Von ihr wollte ich ja immer „Pirouetten“ lesen, aber irgendwie hat es sich nicht ergeben, dann fang ich eben einfach mit ihrem neusten Buch an.

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Zu guter Letzt noch zwei Bücher aus der Rubrik „In der Kinderbuchabteilung gefunden, lassen aber auch die Herzen der Großen höher schlagen“:
„Wie man sich mit einem Gespenst anfreundet“ von Rebecca Green ist eines meiner liebsten Bilderbücher, das ich seit längerem auf Englisch besitze. Nun habe ich es mir nochmal auf Deutsch besorgt, um nicht immer simultan übersetzen zu müssen, wenn ich es dem Kleinen vorlesen will und um es Euch allen nochmal vorzustellen.
Es ist nämlich unheimlich entzückend!
Ein großartiges illustriertes Sachbuch hingegen ist „Verlorene Arten“ von Jess French und Daniel Long. Hier geht es eben nicht nur um Mammuts und Dinosaurier, sondern auch um Tiere, die erst in den letzten Jahren ausgerottet wurden.
Sehr spannend und informativ und ich kann jetzt schon sagen, daß dieses Buch sowohl mich, als auch meinen Kleinsten ungemein fasziniert.

So… Seid Ihr noch da oder schon von meinem Oktoberstapel erschlagen worden?

Kennt ihr einige der Titel und wie haben sie Euch gefallen?
Sehen wir uns auf der Buchmesse?
Und was sollte ich in Wien auf keinen Fall verpassen, selbst wenn ich alle Hände voll zu tun habe, weil ein Kind verlangt, die Krokodile im Haus des Meeres zu befreien, während sich das andere einen Panzer im Heeresgeschichtlichen Museum klauen will?

Liebe Grüße,
Andrea

Review: Washington Black

Im englischsprachigen Raum war „Washington Black“ von Esi Edugyan eines der Bücher des letzten Jahres: es stand unter anderem auf der Shortlist des Booker Prize, gewann den Giller Prize und wurde von Barack Obama zu einem seiner Lieblingsbücher des Jahres gekürt.
Nun ist „Washington Black“ auf Deutsch erschienen und ich hatte gestern die große Freude, Esi Edugyan persönlich kennenzulernen und mit ihr zu plaudern.
Das Interview erscheint am Wochenende, bis dahin könnt Ihr Euch erstmal in die fabelhafte Geschichte des Washington Black einlesen:

Barbados, 1830: der etwa zehnjährige George Washington Black – genannt Wash – wächst als Sklave auf der Zuckerrohrplantage Faith auf. Als der alte Besitzer stirbt, vererbt er die Plantage seinem Neffen Erasmus Wilde, der aus England anreißt, um die Zügel auf Faith in die Hand zu nehmen. Wash ist ein hartes Leben mit Bestrafungen gewohnt, doch unter Master Erasmus nimmt die Gewalt auf Faith zu.
Washs Leben verändert sich schlagartig, als Erasmus Bruder Christopher – von seiner Familie Titch genannt – darum bittet, Wash als persönlichen Diener ausleihen zu dürfen.
Der Junge rechnet mit dem Schlimmsten, doch Titch stellt sich als progressiver und freundlicher Naturwissenschaftler heraus, der seine Zeit auf der Insel (und die Arbeitskräfte, die ihm hier zur Verfügung stehen) nutzen möchte, um eine Maschine zu bauen, von der er schon lange träumt: dem Wolkenkutter, eine Art einfaches Luftschiff.

Da er für diese Unternehmung einen Gehilfen braucht, der möglichst klein und leicht ist, fällt seine Wahl auf Wash, dem er auch lesen und schreiben beibringt, um bei den Aufzeichnungen behilflich sein zu können.
Dabei stellt sich heraus, daß Wash über ein außergewöhnliches Zeichentalent verfügt, was ihn für Titch zu einem äußerst wertvollen Mitarbeiter macht.
Wash kann dem neuen Frieden in seinem Leben jedoch nicht so recht trauen. Immer wieder muss er sich daran erinnern, daß ihm der Komfort, in dem er plötzlich lebt, ebenso schnell wieder genommen werden kann… Seine Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen, als Titch Erasmus um Freiheit für Wash bittet; es kommt darüber zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden Brüdern.
Als dann auch noch ein Unglück geschieht, beschließt Titch in einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Wolkenkutter zu fliehen und den Jungen kurzerhand mitzunehmen.

Für Wash beginnt damit eine atemberaubende Reise um die halbe Welt. Von Barbados über die Eisfelder der Arktis bis hin zu den Sandstürmen Marokkos und in die Tiefen des Meeres ist er nicht nur auf der Flucht vor dem Sklavenfänger, sondern vor allem auf der Suche nach seinem Platz im Leben.
Dabei erlebt er Abenteuer, von denen er auf den Zuckerrohrfeldern nicht einmal zu träumen gewagt hätte, und stellt sich immer wieder die Frage: „Was bedeutet es, wirklich frei zu sein?“

„Washington Black“ hat mich sehr berührt und gleichzeitig auch ungemein begeistert und unterhalten. Es ist eine wirklich vielschichtige Geschichte, in dem es nicht allein um einen Sklaven und seine Flucht geht, sondern auch ein Abenteuer- und Wissenschaftsroman.

Esi Edugyan schafft es, Charaktere zu beschreiben, die den Leser durch ihre Komplexität und Widersprüchlichkeit fesseln und trotz all der inneren Konflikte und hintergründigen Themen eine wirklich spannende Geschichte abzuliefern.

„Washington Black“ wird definitiv auch eines meiner Lieblingsbücher des Jahres werden und darf ich an dieser Stelle noch davon schwärmen, wie wunderbar bibliophil die Ausgabe vom Eichborn Verlag gestaltet wurde?
Ein großartiges Buch! Von Innen wie von Außen!

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Review: Geisternächte

In kalten Winternächten, wenn es draußen früh dunkel wird, stürmt und schneit, dann ist immer eine gute Zeit, um düstere, spannende und märchenhafte Bücher zu lesen.
„Geisternächte“ von André Mumot ist ein Buch, das all diese Zutaten vereint…

Kathi Bechstein ist eine recht erfolglose Schauspielerin aus Berlin. Ihre Brötchen verdient sie als spiritistisches Medium, das Kontakt mit den Seelen von Verstorbenen herstellt. Dabei kommt ihr ihre Schauspielausbildung zugute, denn auch wenn ihre Kunden ihr voll und ganz vertrauen: einen echten Geist hat Kathi noch nie gesehen.

Als ihr Bruder Jakob von homophoben Schlägern ins Koma geprügelt wird, bricht für sie eine Welt zusammen. Kathi zieht sich zurück und weigert sich, Seancen durchzuführen, bis eines Tages die zehnjährige Sophie vor ihrer Türe steht.
Sophies Bruder Finn wurde vor kurzem ermordet und nun hat sie das Gefühl, daß es etwas gibt, das er ihr unbedingt sagen will.
Kathi versucht zwar Sophie abzuwimmeln, aber das Geld ist knapp und irgendetwas hat dieses altkluge Mädchen mit dem Glasauge an sich, das es Kathi schwer macht, ihren Wunsch auszuschlagen…

Bald darauf begreift Kathi, daß ihr Bruder nicht zufällig zusammengeschlagen wurde. Zusammen mit seinem Freund Kenan findet sie heraus, daß Jakob rechtskonservative Politiker erpresst hat.
Ein Mann, auf den es Jakob besonders abgesehen hatte, ist der Schriftsteller Arvid Schönfeld. Als vielseitig informierter Gelehrter geachtet, ist Schönfeld in den letzten Jahren immer öfter durch Aussagen aufgefallen, die Rechtsextremen in die Hände spielen. Dabei schafft er es jedoch stets, charmant zu argumentieren und so hat er eine große Fangemeinde in breiten Teilen der Bevölkerung.

Hatte Jakob wirklich etwas gegen Schönfeld in der Hand und wenn ja, hat dieser den Angriff auf Jakob in Auftrag gegeben?
Kathi und Kenan wollen versuchen, das herauszufinden und ahnen nicht, was sie damit in Bewegung setzen…

Zur gleichen Zeit versucht auch Sophie ein Geheimnis zu lüften, denn seit der Seance bei Kathi ist es ihr möglich, den Geist ihres Bruders zu sehen, der ruhelos durch die Wohnung streift und nach irgendetwas sucht…

Ihr merkt vielleicht schon: „Geisternächte“ ist ein vielschichtiges Buch, das sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Es ist ein spannender Thriller, eine märchenhafte Geistergeschichte und gesellschaftskritische Gegenwartsliteratur.
Dabei ist aber alles so dicht miteinander verwoben, daß man nie das Gefühl hat, die unterschiedlichen Themen würden die Geschichte überlasten.

Der Wechsel zwischen der Geistergeschichte und dem Thriller, in dem die Menschen von ihren eigenen Geistern gejagt werden, hat für mich ausgezeichnet funktioniert und an dieser Stelle muss auch gesagt sein: dieser André Mumot kann wirklich verdammt gut schreiben.
Schon beim ersten Kapitel hatte ich das Gefühl, plötzlich selbst in die Geschichte hineingerutscht zu sein. Die Figuren, die Umgebung, das Wetter und die Geräusche… alles hatte ich sofort so bildhaft vor Augen als würde ich daneben stehen. Das schaffen nicht viele Autoren!

Wenn Ihr also Lust auf ausgezeichnet geschriebene, genreübergreifende Literatur mit Thrillercharakter und Elementen des magischen Realismus habt, dann ist „Geisternächte“ das perfekte Buch für Euch!

Review: Die Hungrigen und die Satten

Passend zur Landtagswahl hier in Bayern möchte ich euch heute einen politisch hochbrisanten Roman vorstellen.

Mit „Er ist wieder da“ hat mich Timur Vermes vor sechs Jahren ziemlich geplättet. Bei kaum einem Buch habe ich so gelacht, nur im mich zwei Sekunden später zu schämen, denn Vermes versteht es wie kein Zweiter, dem Leser einen bitterbösen Spiegel vorzuhalten.
Dementsprechend gespannt war ich nun auch auf sein neues Buch „Die Hungrigen und die Satten“, bei dem er sich nichts geringerem als der Flüchtlings-Thematik widmet.

In wenigen Jahren hat es die EU geschafft, die Flüchtlingsrouten dicht zu machen. Bis tief in die Sahara wurde alles abgeriegelt und einen Schlepper kann sich kaum noch jemand leisten. So werden die Lager immer größer, doch an echter Hilfe ist niemand interessiert, solange nur genug Geld fließt, um die Flüchtlinge fern von Europa zu halten.

Nadeche Hackenbusch ist eine dieser typischen C-Prominenten, die man aus Shows wie „Promi Big Brother“ oder dem „Dschungelcamp“ kennt.
In ihrer Fernsehsendung besucht sie nun Flüchtlingsheime und inszeniert sich dort als „Engel im Elend“. Für ein aufsehenerregendes Special haben sich die Produzenten aber etwas ganz besonderes ausgedacht: Nadeche soll nach Afrika reisen und dort aus dem größten Flüchtlingslager der Welt berichten.

Die Fernsehmacher stellen sich eine leicht verdauliche Show vor, in der Nadeche Mode an Flüchtlingsfrauen präsentieren soll, doch vor Ort wächst das an sich recht naive und egozentrische Fernsehsternchen über sich hinaus und beschließt, wirklich helfen zu wollen. Doch wie?

Da hat ihr Übersetzer, der Flüchtling Lionel, eine geniale Idee.
Er organisiert einen Fußmarsch nach Europa, dem sich 150.000 Leute aus dem Lager anschließen.
Das Fernsehen ist natürlich live dabei und „Engel im Elend“ entwickelt sich zum absoluten Quotenhit, an dem sich Deutschland und der Rest der EU scheidet.
Denn während viele Menschen mit den Flüchtlingen und Nadeche Hackenbusch mitleiden, wächst in weiten Teilen der Bevölkerung die Angst vor der anrollenden Flüchtlingswelle.
PEGIDA erhält enormen Zulauf, immer mehr Menschen radikalisieren sich, das Land droht zu zerreissen.
Einzig Innenminister Leubl scheint in dieser Situation einen klaren Kopf zu behalten und schlägt ein radikales Umdenken vor.
Doch kann diese Geschichte überhaupt gut ausgehen…?

„Die Hungrigen und die Satten“ ist ein Buch, das es wirklich in sich hat.
Während ich „Er ist wieder da“ seinerzeit in nur zwei Tagen durchgelesen habe, musste ich mir für dieses Buch mehr Zeit nehmen, so nahe ging es mir stellenweise.

Auch wenn es leicht zu lesen ist und für den ein oder anderen Lacher sorgt, ist es doch deutlich düsterer und beklemmender als sein Vorgänger. Vermutlich, weil die Geschichte nicht so weit hergeholt ist, oder wie Vermes in einer kleinen Randnotiz am Anfang des Buches schreibt: „Es ist durchaus möglich, daß alles ganz anders kommt.
Es ist nur nicht wahrscheinlich.“

Hut ab vor Timur Vermes für dieses schonungslose Buch!
Wohlfühllektüre sieht definitiv anders aus, aber trotzdem, oder vielleicht genau deswegen, gibt es von mir eine dringende Leseempfehlung!

 

PS: An dieser Stelle auch nochmal ein kleines Hoch! an den Eichborn Verlag, der sich wieder einmal etwas ganz außergewöhnliches hat einfallen lassen, und das Cover in Maschendraht-Haptik gestaltet hat!

PPS: „Er ist wieder da“ lief bei uns als Hörbuch immer rauf und runter. Christoph Maria Herbst liest wirklich genial und deshalb war ich sehr begeistert, daß mir der Eichborn Verlag, bzw. Bastei Lübbe auch gleich noch ein Hörexemplar von „Die Hungrigen und die Satten“ hat zukommen lassen.
Ich habe es mir in einer Nacht- und Nebelaktion, in der ich durch drei Länder gefahren bin, um bei einer Freundin zu sein, angehört und auch hier liefert Herbst wieder erstklassige Vorlesekunst ab. Große Empfehlung!