Die letzten Wochen habe ich ja Corona-bedingt kaum noch Rezensionen geschrieben. Dafür war es hier mit den Kindern zu chaotisch und auch der Relaunch des Podcasts hat viel Zeit in Anspruch genommen. Schön langsam aber – man glaubt es kaum – kehrt wieder ein wenig Ruhe ein und ich hoffe, daß ich den Stapel der Titel, die endlich rezensiert werden wollen, nach und nach in Angriff nehmen kann.
Ein Buch, von dem ich schon im Podcast geschwärmt habe und das ich hier auch nochmal vorstellen wollte, ist Adeline Dieudonnés Debütroman „Das wirkliche Leben“, welcher mich wirklich geplättet hat.
Es beginnt an einem Sommerabend in der Kleinstadt. Die zehnjährige Ich-Erzählerin und ihr sechsjähriger Bruder Gilles wollen sich nur schnell ein Eis holen, als sie Zeugen eines schrecklichen Unfalls werden; ein Mann stirbt direkt vor den Augen der Kinder.
Beide sind völlig traumatisiert, doch die Eltern sprechen nicht darüber, was passiert ist und bieten ihren Kindern auch keinerlei Trost. Allein die Erzählerin bemerkt, wie sich ihr kleiner Bruder mehr und mehr zurückzieht.
Als der ohnehin schon aggressive Vater der Mutter gegenüber immer handgreiflicher wird, scheint etwas in Gilles zu zerbrechen. Doch was kann eine Zehnjährige tun, um ihren Bruder vor all dem zu schützen?
Bald ist sie überzeugt davon, daß das Unglück am Abend des Unfalls seinen Anfang nahm und daß man in der Zeit zurückreisen müsste, um alles wieder ins Lot zu bringen und zurück in das „wirkliche“ Leben zu finden.
Wie eine Besessene beginnt sich die Ich-Erzählerin dem Ziel zu widmen, eine Zeitmaschine zu bauen, um den Unfall zu verhindern. Die ganzen Sommerferien über schraubt sie auf einem Schrottplatz an Autowracks und kaputten Mikrowellen herum und beginnt, Bücher über Physik zu verschlingen. Doch am Ende des Sommers muss sie enttäuscht feststellen, daß es nicht so einfach ist, die Zeit zurückzudrehen, wie es in den Filmen den Anschein hat.
Was ihr nach diesem Sommer bleibt, ist die Liebe zu den Naturwissenschaften und das unbedingte Bedürfnis, die Seele ihres Bruders doch noch irgendwie zu retten.
In den folgenden fünf Jahren wächst die Ich-Erzählerin heran, sie beschäftigt sich weiter mit Physik und bekommt sogar Privatunterricht von einem ehemaligen Uni-Professor, sie wird selbstständiger und reift zu einer jungen Frau heran, doch sie weiß, daß sie all das vor ihrem Vater geheim halten muss. Der wird immer aggressiver und beginnt nun auch seiner Tochter gegenüber handgreiflich zu werden. Doch die möchte sich nicht zm Opfer machen lassen, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und dabei auch ihren Bruder retten, der selbst immer grausamer und gefühlskälter wird.
Diese explosive Mischung steuert auf einen Höhepunkt zu, der es wirklich in sich hat und mich komplett zerstört zurückgelassen hat.
„Das wirkliche Leben“ ist ein Buch, das eine absolute Sogwirkung auf mich hatte. Auch wenn es stellenweise wirklich harte Kost ist, war ich von Anfang an voll in die Protagonistin investiert und musste einfach weiterlesen, um die Geschichte mit ihr zusammen durchzustehen.
Manche mögen diesem Buch handwerkliche Schwächen ankreiden, die ich zwar zum Teil nachvollziehen kann – immerhin haben wir es hier mit einem Debütroman zu tun – aber die ich jederzeit verzeihe, weil die Geschichte mich mit ihrer Intensität voll überzeugt hat.
Für mich ist „Das wirkliche Leben“ jedenfalls einer der Titel dieses Frühjahrs, den ich nur empfehlen kann, der aber auch nichts für schwache Nerven ist.
Allein der Name der Autorin ist reinste Poesie! 🙂
Bislang hat mich einerseits das Cover – pink oder rosa, oder was immer das ist, weckt in mir natürliche Fluchtreflexe – und andererseits die schwere Thematik abgeschreckt, der ich mich in jüngerer Vergangenheit nicht immer gewachsen gefühlt hätte und habe. Aber momentan … nun, man wird sehen.
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Ja, leichte Kost ist es nicht, aber trotzdem mit absoluter Sogwirkung.
Ich bin gespannt, ob du es trotz der Thematik liest.
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Ich habe das Buch an zwei Abenden gelesen. Es ist kein Buch, dass mich so schnell los lassen wird.
Es gab eine Stelle im Buch, da hatte ich fast schon ein wenig Mitleid mit dem Vater. Er wird als hilflos beschrieben, unsere Protagonistin erzählt, dass das Kind in ihrem Vater gestreichelt werden möchte. Gruselig fand ich aber auch die Beschreibung das Zimmer der Kadaver…
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Ja! Mich hat es auch gar nicht losgelassen.
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