Review: Gespräche mit Freunden

Sally Rooneys Debütroman „Gespräche mit Freunden“ war wohl der gehypteste Titel dieses Sommers. Kein Wunder, denn damit räumte die Autorin zahlreiche Preise ab und ihr zweites Buch „Normal People“ stand letztes Jahr auf der Longlist des Booker Prizes.
Dennoch habe ich über kein Buch dieses Jahr so auseinandergehende Meinungen gehört, wie über „Gespräche mit Freunden“. Offenbar ist man entweder hin und weg oder maßlos enttäuscht. Dazwischen gibt es anscheinend nichts.
In unserem Podcast stellte mein Kollege Andi das Buch bereits vor, allerdings in der Kategorie „Worth the Hype?“, eine Frage, die er eindeutig mit „Nein!“ beantwortete.
Nachdem ich „Gespräche mit Freunden“ zu diesem Zeitpunkt aber schon zu Hause liegen hatte, beschloss ich, dem Titel dennoch eine Chance zu geben.

Frances und Bobbi sind Anfang zwanzig und Poetry-Slammerinnen, die stets gemeinsam auftreten. Trotz ihrer Trennung haben die beiden ein sehr inniges Verhältnis und verbringen auch in ihrer Freizeit viel Zeit miteinander.
Eines Abends werden sie von der bekannten Journalistin Melissa angesprochen, die gerne ein Porträt der beiden für ein Magazin machen möchte. Bobbi ist sofort Feuer und Flamme, sowohl für den Artikel, als auch für Melissa. Die ist Mitte dreißig, wohlhabend, erfolgreich und mit dem attraktiven Schauspieler Nick verheiratet.
Während sich Bobbi und Melissa anfreunden und die Gespräche bei gemeinsamen Abendessen dominieren, bleiben Frances und Nick eher für sich und kommen sich schon bald näher.
Als sie eine Affäre miteinander beginnen werden die Loyalitäten aller Beteiligten auf eine harte Probe gestellt…

Nachdem ich so widersprüchliche Meinungen zu diesem Buch gehört hatte, habe ich meine Erwartungen schon entsprechend gesenkt und dachte mir, es wäre vielleicht eine schöne, leichte Lektüre für die Zugfahrt zur Frankfurter Buchmesse. Schon nach ein paar Seiten war ich allerdings irritiert, denn ich hatte das Gefühl einen mittelmäßigen New Adult Romance Titel zu lesen, so vorhersehbar war der Plot und immer wieder stolperte ich über Sätze mit Fremdschämpontenzial. Besonders tiefsinnig fand ich Stellen wie „Ich zwang mich, ganz in die Wanne einzutauchen, wo mich das Wasser obszön leckte“ nun wirklich nicht.

Auch die ganze Affäre empfand ich als kein bißchen erotisch, sondern nur unheimlich anstrengend. Alles wird von Frances überinterpretiert und überanalysiert, und das immer auf die schlimmstmögliche Weise.
Man hat nicht das Gefühl, daß es hier um Sinnlichkeit geht, sondern um Macht und einen gewissen Selbstzerstörungsdrang. Der manifestiert sich dann auch, als bei Frances eine Krankheit diagnostiziert wird, über die sie sich nicht weiter informiert, mit niemandem spricht und stattdessen in Kauf nimmt, daß sie ständig ohnmächtig wird.
Sie suhlt sich geradezu in ihrem Leid, indem sie sich selbst immer wieder sabotiert und es fiel mir extrem schwer, so etwas wie Empathie für sie zu empfinden, nachdem sie all ihre eigenen Gefühle immer nur abblockt und unterdrückt.

Besonders schlimm fand ich den Schluß. Vorsicht Spoiler-Alarm!
Denn mit dem Ende der Affäre scheinen Nick und Melissa ihre Ehe wieder kitten zu können, Frances wird klar, daß sie Bobbi die ganze Zeit über geliebt hat und auch die beiden kommen sich wieder näher. Happy End also?
Sieht nicht danach aus, denn als Nick Frances im letzten Kapitel aus Versehen anruft, erzählen sich die beiden, wie wichtig ihnen ihre Ehefrau, respektive Partnerin, sind, sie sind sich einig, daß das zwischen ihnen ohnehin keine richtige Zukunft hatte und beschließen, den ganzen Mist wieder von vorne anzufangen. Oh weh!

Nein, „Gespräche mit Freunden“ konnte mich absolut nicht überzeugen.
Warum ich es dann trotzdem zu Ende gelesen habe?
Maria Piwowarski von der Buchhandlung Ocelot sagte dazu in ihren Insta-Stories: „Der Strand war bequem, ich lag da und dann hab ich das halt zuende gelesen…“.
Mir ging es da ganz ähnlich. Minus den Strand. Leider.
Aber wenn mir langweilig war und ich nicht den Nerv hatte, mich auf etwas Anspruchsvolleres zu konzentrieren, dann kam mir dieses Buch ganz recht.
Es ist wohl ein bißchen wie in tatsächlichen Gesprächen mit Freunden: Eigentlich nerven dich ihre neurotischen Probleme nach einer Weile, aber es wird wenigstens nicht langweilig, wenn man ihnen dabei zuhört, wie sie sie groß und breit vor dir austreten…

Für mich war es wohl eine der größten Leseenttäuschungen des Jahres, andere fanden es ganz großartig.
Bevor ich mich an den Schreibtisch setzte, um meine Gedanken zu „Gespräche mit Freunden“ aufzuschreiben, schaute ich mir nochmal ein YouTube Video vor der Autorin Jen Campbell an, deren Tipps ich ja in der Regel sehr schätze. Sie schwärmte in den höchsten Tönen von diesem Roman, fast hätte ich nicht erkannt, daß es sich um das gleiche Buch handelt!
Vermutlich wird dieser Titel weiter die Geister scheiden. Mein Fall war es jedenfalls nicht.

Autor: Lesen... in vollen Zügen

Seit 20 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin in München und seit 2017 gibt es nun "Lesen... in vollen Zügen". Hier möchte ich euch vorstellen, welche Bücher mich gerade bewegen. Meine Beträge verfasse ich im Plauderton, eben so, wie ich auch mit meinen Kunden im Laden ins Gespäch komme. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktueller deutsch- und englischsprachiger Literatur. Aber ich bin auch ein großer Fan von schönen Illustrationen und stelle deshalb regelmäßig Graphic Novels und spannende illustrierte Sachbücher vor. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und Amélie Nothomb. Außerdem mache ich mir immer wieder Gedanken zum Thema Leseverhalten in der Rubrik Mein Leben als Leser und plaudere aus dem Nähkästchen in Bekenntnisse einer Buchhändlerin. Wem jetzt aber die Züge bei "Lesen... in vollen Zügen" zu kurz kommen, der kann gerne bei In vollen Zügen nach… vorbei schauen. Hier berichte ich von meinen Zugreisen, den Büchern, die mich dabei begleiten, den Städten die ich besuche und natürlich auch von schönen Buchhandlungen, die es dort zu entdecken gibt.

13 Kommentare zu „Review: Gespräche mit Freunden“

  1. Ich langweile mich auch gerade so durch das Buch. Das plätschert vor sich hin und ich weiß nicht, warum es so gehyped wurde. Da passiert ja nix wirklich Interessantes…

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  2. Oh. Deinen herausgepickten Satz finde ich auch ganz furchtbar. Auch sonst… Ich hätte nicht zu Ende gelesen! So viel Zeit gebe ich Büchern nicht mehr, wenn sie mich enttäuschen.
    Aber jedes Buch hat sein Publikum und Geschmäcker sind verschieden.
    Liebe Grüße
    Nina

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    1. Haha… Auf Insta habe ich heute gefragt, wie andere das Buch fanden und da gibt es so viele, die sagen „Hab ich nach der Hälfte weggelegt, weil einfach zu banal…“ und die anderen, die sagen „Das ist so genial!“. Da scheiden sich wirklich die Geister, aber ganz subjektiv kann ich es nicht empfehlen.

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  3. Ja, also ich muss zugeben: Das Buch habe ich schon, gelesen noch nicht… Und nun? Was mache ich? Mich interessiert es trotzdem – auch wenn du mich jetzt gerade nicht besonders neugierig in diese Reise schickst… Vielen Dank für deine ehrlichen Worte! Viele Grüße, Nora

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    1. Oh weh…
      Gestern gab es wegen des Buchs auch eine riesen Diskussion auf meinem Instagram Account.
      Die eine Hälfte hat es geliebt, die andere Hälfte fand es banal und überbewertet.
      Vielleicht gehörst du ja zu den Leuten, die es liebt?
      Ich habe wirklich keine Ahnung, warum sich die Geister so an diesem Buch scheiden. Selbst unter uns Buchhändlern herrscht diese „Love it or Hate it“ – Einstellung.
      So oder so… Es ist auf jeden Fall wenigstens leicht zu lesen. 😉
      Viele Grüße zurück, Andrea

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