Es ist August und die Temperatur liegt bei minus drei Grad.
Ich ziehe mir die Kapuze tiefer ins Gesicht, vergrabe die Fäuste in den Taschen meiner Wanderjacke und starre auf die meterhohe Eiswand vor mir.
So hatte ich mir meinen Sommerurlaub eigentlich nicht vorgestellt…
Der Große wird schön langsam flügge; Pfingsten hat er dieses Jahr auf einer Sprachenschule in England verbracht, in den Sommerferien wollte er nun mit seinen Cousins nach Griechenland.
Ich bin ja sehr dafür, daß er seine eigenen Erfahrungen sammelt, aber mein zartes Mutterherz hätte es dann doch nicht ausgehalten, eine Woche daheim zu sitzen und die WhatsApp-Stories seiner Tante nach Bildern von ihm zu stalken.
Ablenkung musste also her! Es sollte nicht zu weit weg sein, mit Spiel und Spaß für den Kleinen und natürlich sollte es sommersonnenwarm sein.
Warum mir mein Gehirn dann ausgerechnet Fuschl am Fuschlsee als das perfekte Urlaubsziel präsentierte bleibt ein Rätsel. Vermutlich, weil ich hier einen extrem heißen Sommer vor knapp einem viertel Jahrhundert verbrachte. Das sich das Wetter in der Region gelegentlich ändern könnte, hatte mein Hirn nicht bedacht.
Und so ignorierte ich den launischen Sommer, bis mich Mareike Fallwickl, meine Wetterfee vor Ort, mit den unschönen Tatsachen konfrontierte: Regen, Regen, Regen…

Na, vielleicht würde ich wenigstens lesen können, wenn der Kleine abgelenkt wäre?
In meinen Bücherkoffer wanderten „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ von Thomas Meyer und „Miroloi“ von Karen Köhler.
Mit beiden Titeln hatte ich schon angefangen und war schwer begeistert.
Außerdem wollte ich nun endlich mal mit „Das Licht ist hier viel heller“ von Mareike Fallwickl und „Der Sprung“ von Simone Lappert anfangen und „Fünf Lieben lang“ von André Aciman zumindest anlesen.
Als Graphic Novel durfte „Ferngespräch“ von Sheree Domingo mit und für die Fahrt hatte ich mir noch das Hörbuch von Karen Köhlers „Wir haben Raketen geangelt“ besorgt.
Karen hatte ich ja vor Kurzem bei einem Abendessen des Hanser Verlags kennengelernt, wo sie auch aus „Miroloi“ vorgelesen hatte. Eine tolle Stimme!
Mit den „Raketen“ in den Ohren ging es also los und als ich den letzten Hügel umrundete und der Fuschlsee im Tal vor mir lag, hatte ich dicke Tränen in den Augen und die zweite CD war gerade zu Ende gegangen. Mit vier CDs hatte „Wir haben Raketen geangelt“ also zufälligerweise die perfekte Länge für eine Fahrt von Freising nach Fuschl und wieder zurück!
Wir hatten uns in einem kleinen Häuschen eingemietet, das zu einem Bauernhof gehört und am Hang direkt am Waldrand liegt. Ein bißchen rustikal, aber gemütlich.
Ungemütlich war dagegen das Wetter. Also entschloss ich mich, die BuchschrankFinder App von Tobias von Lesestunden auszuprobieren und mich auf die Suche nach der Fuschler Bücherbank zu machen.
Auf dem Weg dorthin stolperte ich dann sogar noch über einen weiteren öffentlichen Bücherschrank, der noch gar nicht eingetragen war. Schnell habe ich ihn also in der App vermerkt und jetzt könnt Ihr, sollte es Euch jemals an den Fuschlsee verschlagen, gleich zwei Bücherschränke in der App finden.

Das Wetter schien die nächsten Tage weiterhin trostlos zu bleiben und Mareike Fallwickl begann mich mit so vielen Ausflugstipps in der Region zu versorgen, daß mir irgendwann der leise Verdacht kam, ich wäre die Testleserin für ihren ersten Reiseführer.
An dieser Stelle nochmal Tausend Dank, Mareike!
Ernsthaft: ich würde einen Reiseführer von Dir kaufen!
Am nächsten Tag entschieden wir uns also für einen fallwicklschen Ausflugstipp und fuhren zum Haus der Natur nach Salzburg.
Ich bin einfach nur begeistert von diesem Museum!
Hier gibt es wirklich alles zu sehen; von Dinosauriern über Aquarien mit Haien und anderen tollen Fischen, einem Reptilien-Zoo mit riesigem Alligator und Schlangen, so ziemlich jedes ausgestopfte Tier, das man sich vorstellen kann, Planeten und Raumfahrt, Geschichte der Eiszeit, aber auch eine Abteilung über Aberglauben, wo sich Einhörner und gruselige Meerjungfrauen zwischen die normalen Exponate mogeln.
Das Haus der Natur bietet eine großartige Mischung aus sehr modernen Ausstellungsbereichen und einer charmanten Weirdness, die von den alten Exponaten ausgeht.
Groß und Klein waren jedenfalls völlig begeistert.

Zurück im Ferienhaus kuschelte ich mich dann auf die Couch und beendete „Wolkenbruchs wunderliche Reise…“. Ein bißchen gewöhnungsbedürftig war das Jiddisch schon, aber das Buch hat mir wirklich gut gefallen und ich freue mich jetzt schon sehr auf die Fortsetzung „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“.
Am nächsten Tag regnete es immer noch und mein Körper verlangte nach sofortiger Wärme und einem Badeausflug.
Also beschlossen wir, zur Salzkammergut-Therme nach Bad Ischl zu fahren.
Viel ist dort nicht geboten, besonders nicht für Kinder, aber wir hatten trotzdem Spaß und während sich der Kleine die Zeit im winzigen Kinderbereich vertrieb, las ich Sheree Domingos Graphic Novel „Ferngespräch“ über philippinische Pflegekräfte in Deutschland in einem Stück durch. Das Thema hört sich vielleicht nicht besonders spannend an, aber mich hat die Geschichte unheimlich berührt und ich hatte am Ende wirklich Tränen in den Augen.
Danach schaffte ich es noch kurz „Der Sprung“ von Simone Lappert anzulesen.
Es geht um einen Tag, an dem das Leben vieler Personen aus dem Tritt gerät, wobei die Figuren immer abwechselnd erzählen. Bisher funktioniert das sehr gut. Ich hoffe, die Autorin schafft es, diesen Rhythmus bis zum Schluß durchzuhalten, ohne daß es zu konfus wird, wenn immer mehr Charaktere auftreten.

Tag vier und das Wetter war immer noch bescheiden.
Inzwischen war mein Vater zu uns gestoßen und ich beschloss, jede Hoffnung auf einen Sommerurlaub fahren zu lassen und einfach schon im August direkt mit dem Winter zu beginnen.
Dazu fuhren wir nach Hallstatt, um die Rieseneishöhle am Dachsteinmassiv zu erkunden.
Mit der Seilbahn ging es hoch in die Wolken und dann zu Fuß weiter Richtung Höhle. Dort führte unser Weg tief hinein in den Berg, zu den gigantischen Eisformationen, die sich hier im Lauf der Jahrhunderte gebildet haben. Sehr sehenswert und nach einer Stunde bei minus drei Grad kam uns sogar das Sauwetter plötzlich schön mild vor.

Danach fuhren wir mit der Seilbahn noch weiter hoch auf den Krippenstein. Inzwischen hatten sich die Wolken halbwegs verzogen und wir wanderten entlang des Panoramawegs zu den Fünf Fingern, einer spektakulären Aussichtsplattform.
Alles in allem war der Ausflug wirklich großartig, für das Highlight sorgte allerdings unfreiwillig mein Vater, als ich eine Schlange entdeckte, die sich am Wegesrand sonnte. Ich zeigte sie vorsichtig meinem Kleinen, als die Schlage beschloss, in eine Felsspalte zu kriechen.
Mein Vater kam dazu und rief: „Oh, das ist ja eine große Blindschleiche!“.
Ich war mit zu hundert Prozent sicher, daß das definitiv keine Blindschleiche war, doch mein Vater ließ sich nicht beirren und zog das Tier ein bißchen am Schwanz, um es genauer sehen zu können.
Es bedurfte nur einer kurzen Google-Suche und ich hielt ihm vorwurfsvoll den Wikipedia-Eintrag zur Höllenotter, einer Unterart der Kreuzotter, unter die Nase. Das überzeugte meinen Vater letztendlich, daß es eben keine Blindschleiche war und ich zog ihn den Rest des Urlaubs mit Fun Facts über Höllenottern auf.
Fun Fact: während es vier bis fünf Bisse bedarf, um einen Erwachsenen zu töten, hätte der Biss einer Höllenotter für meinen Kleinen gereicht…

Irgendwie schaffte ich es an dem Tag sogar noch, endlich „Das Licht ist hier viel heller“ anzulesen. Das zweite Kapitel spielt übrigens in einer Villa am Wolfgangsee. Es war dann aber eigentlich Zufall, daß wir auf dem Heimweg ausgerechnet am Wolfgangsee Pause machten, um in einer Pizzeria am Ufer gemütlich Abend zu essen.
Nachdem ich in der Eishöhle mit dem Sommer abgeschlossen hatte, hatte die Sonne, diese launische Diva, dann doch noch ein bißchen Erbarmen mit mir und zeigte sich den Rest der Woche zumindest so weit, daß Baden plötzlich möglich wurde.
Das Wasser im Fuschlsee ist türkisblau und ganz schön kalt, aber mir war alles egal. Ich schwamm wie ein Fischlein, lag in der Sonne und las „Fünf Lieben lang“ an und auch in „Miroloi“ wieder weiter.
Viel zum Lesen bin ich ja alles in allem nicht gekommen, aber trotz allem war es ein wirklich schöner Urlaub, der wohl als der Urlaub in die Familiengeschichte eingehen wird, in dem mein Vater mit einer Giftschlange kämpfte.
Das war er also, mein Sommerurlaub… Wie war Eurer?
Liebe Grüße,
Andrea
Da fällt mir spontan nur folgendes ein:
😂
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Mir fiel gleich ein „Im Salzkammergut, da kann ma gut lustig sein…“. Im Haus der Natur war ich auch schon mal und war genauso begeistert wie du. Ich hätte es dir ja anders gewünscht, aber das mit dem Schnürlregen um Salzburg ist eben so eine Sache. Wolkenbruchs Reise habe ich vor einiger Zeit auch gelesen und fand es ziemlich interessant. Mal sehen, was du zum Folgeband schreibst. Die Buchhändlerin meines Vertrauens hatte es mir schon einmal empfohlen.
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Ich bin auch sehr gespannt auf den zweiten Teil und möchte es auf jeden Fall auch als Hörbuch hören.
Das wird bestimmt ein Spaß!
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Oh ja, von Freunden aus den Alpen haben wir auch schon erfahren, dass es insgesamt dieses Jahr ein nasser und kälter Sommer ist und war. Aber Ihr habt das Beste draus gemacht!
Sieht fein aus, was Ihr an Tips umgesetzt habt, ja, sowas ist super und besser als ein Reiseführer, wenn man wenigstens mit Ortskenntnis hat. Und dann noch Zeit zum lesen!
Ach ja, die musikalischen Dinge (s.o.) sind mir auch sofort eingefallen 😁
Liebe Grüße
Nina
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Ich bin die letzten Tage gar nicht wirklich zum Antworten gekommen!
Das Salzkammergut Lied hat wohl jeder im Ohr. 😂
Liebe Grüße zurück,
Andrea
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Toller Bericht. Danke dafür.
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Danke! Gerne!
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Als Weingegend-Kind hat mein Kopf aus der Buchschrank-Finder App eine Buschenschank-Finder App gemacht… 🤣. Zu deinem Trost: ich war noch nie im Salzkammergut bei Schönwetter…. 😉
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Die Buschenschank-Finde App hört sich nach einer großartigen Idee an! 😂
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