Review: Meine geniale Freundin

Das Ferrante-Fieber hat mich ja nun all die Jahre kaltgelassen.
Trotz zahlreicher Kollegen, die mir versicherten, wie großartig „Meine geniale Freundin“ wäre, trotz der vernichtenden Kritik von Maxim Biller im Literarischen Quartett, die ja nun eigentlich eher eine Auszeichnung ist, trotz allem blieb ich skeptisch. Denn obwohl ich zu den Lesern gehöre, die am liebsten so wenig wie möglich über Autoren wissen wollen, war mir das Mysterium, das Elena Ferrante umgibt immer ein wenig suspekt.
Die Gründe, die sie für ihre Anonymität anführt, sind zwar genau die, die ich nennen würde, wenn man mich fragt, warum ich so wenig über Autoren wissen möchte, die ich gerne lese, aber das hartnäckige Gerücht, hinter dem Namen würde eine Schreiberwerkstatt stecken, stieß mir immer sauer auf. Ich kann einen Autor akzeptieren, der die Öffentlichkeit scheut, es behagt mir allerdings nicht, wenn ich das Gefühl habe, da wäre ein Autoren-Team am Werk, das ganz gezielt bestimmte Schablonen abarbeitet – wie es ja in Filmen gang und gäbe ist – um den Leser bei der Stange zu halten…

Vor Kurzem las ich dann aber Frau im Dunkeln und war absolut beeindruckt von der psychologischen Tiefe dieses Romans. Für mich war sofort klar, daß die Geschichte keine Auftragsarbeit aus der Retorte sein konnte, sondern daß eine sehr reflektierte und intelligente Autorin dahinterstecken musste.
Und so begann ich, mich auf die „geniale Freundin“ zu freuen…

Elena und Lila wachsen in den 1950er Jahren in einem ärmlichen Viertel Neapels auf. Als die beiden in die Schule kommen, stellt sich heraus, daß Lila eine unheimlich begabte Schülerin ist, die sich das Lesen und Schreiben bereits selbst beigebracht hat. Da sie aber als Unruhestifterin gilt und selbst die Raufbolde in der Klasse das Fürchten lehrt, wird sie von der Lehrerin nicht so gefördert wie Elena. Die wurde offenbar dazu auserkoren, eine schulische Ausbildung zu erhalten, die ihr eines Tages eine Zukunft außerhalb des Rione ermöglichen soll, doch ohne Lilas Hilfe tut sich Elena anfangs manchmal schwer mit dem Schulstoff.

Nach der Zeit in der Grundschule bekniet die Lehrerin Elenas Eltern, sie auf die Mittelschule und später aufs Gymnasium zu schicken. Lilas Eltern dagegen wollen kein weiteres Geld für die Ausbildung ihrer Tochter ausgeben, die ohnehin eines Tages Hausfrau und Mutter sein wird. Sie beginnt im Schusterladen des Vaters und im Haushalt der Mutter mitzuhelfen, doch Lila lernt weiterhin mit Elena zusammen und bringt sich sogar selbst Latein und Griechisch bei, um ihrer Freundin zu helfen.

Mit der Zeit jedoch versiegt Lilas Lerneifer und sie beginnt sich in die Rolle zu fügen, die von ihr erwartet wird. Und während sich für Elenas Zukunft immer mehr Türen öffnen, beschließt Lila, daß sie einen vielversprechenden Mann finden muss, um der Armut ihres Viertels zu entkommen…

Ich muss sagen, daß es eine Weile dauerte, bis ich mit dem ersten Teil der Neapolitanischen Saga wirklich warm wurde. Anfangs fühlte ich mich ein wenig an einen klassischen ZDF-Mehrteiler erinnert. Eine nette Geschichte mit netten Protagonisten… alles sehr gefällig, vorhersehbar und wie tausend anderer solcher Geschichten, die man schon so ähnlich gelesen oder im Fernsehen gesehen hat.
Sollte das wirklich dieselbe Autorin geschrieben haben, die mich mit ihrer präzisen Beobachtungsgabe in Frau im Dunkeln so beeindruckt hatte?
Erst mit der Zeit und der starken Entwicklung der Figuren begann ich immer mehr Gefallen an der Geschichte zu finden. Zuletzt freute ich mich dann schon immer auf meine Zeit im Schwimmbad, wenn ich dieses Buch endlich weiterlesen konnte.

„Meine geniale Freundin“ ist ein wunderbarer Roman, um ihn entspannt in den Ferien zu lesen. Am Ende war ich sogar richtig enttäuscht, daß es mich dieses Jahr gar nicht nach Italien verschlägt. Es wäre wirklich schön gewesen, dieses Buch beim Strandurlaub an der Mittelmeerküste zu lesen…
Das wird dann hoffentlich nächstes Jahr mit dem zweiten Teil nachgeholt!


Die Neapolitanische Saga:

1. Meine geniale Freundin
2. Die Geschichte eines neuen Namens
3. Die Geschichte der getrennten Wege
4. Die Geschichte des verlorenen Kindes

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Autor: Lesen... in vollen Zügen

Seit 20 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin in München und seit 2017 gibt es nun "Lesen... in vollen Zügen". Hier möchte ich euch vorstellen, welche Bücher mich gerade bewegen. Meine Beträge verfasse ich im Plauderton, eben so, wie ich auch mit meinen Kunden im Laden ins Gespäch komme. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktueller deutsch- und englischsprachiger Literatur. Aber ich bin auch ein großer Fan von schönen Illustrationen und stelle deshalb regelmäßig Graphic Novels und spannende illustrierte Sachbücher vor. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und Amélie Nothomb. Außerdem mache ich mir immer wieder Gedanken zum Thema Leseverhalten in der Rubrik Mein Leben als Leser und plaudere aus dem Nähkästchen in Bekenntnisse einer Buchhändlerin. Wem jetzt aber die Züge bei "Lesen... in vollen Zügen" zu kurz kommen, der kann gerne bei In vollen Zügen nach… vorbei schauen. Hier berichte ich von meinen Zugreisen, den Büchern, die mich dabei begleiten, den Städten die ich besuche und natürlich auch von schönen Buchhandlungen, die es dort zu entdecken gibt.

11 Kommentare zu „Review: Meine geniale Freundin“

  1. Ich habe mich nach dem langen Hype dann doch breitschlagen lassen und angefangen, bin aber nur bis zur Hälfte gekommen. Irgendwie bin ich auch nicht so richtig warm mit der Geschichte geworden und alleine bei dem Gedanken, dass da noch drei Bücher auf mich warten… Also habe ich es brav zurückgegeben. Irgenwann wollte ich es dann doch wieder lesen und habe mir das Original runtergeladen. Das schlummert jetzt auf meinem E-Reader und wartet auf den nächsten Italienurlaub, der natürlich noch nicht geplant ist…

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    1. Ja, das ganze Personal, das da auftritt und zunächst einmal völlig unerheblich ist, bis man die Leute später wieder trifft, das ist finde ich kein leichter Einstieg.
      Ich hatte mir das Buch ins Schwimmbad mitgenommen, wo ich vor den Ferien noch in Ruhe Bahnen schwimmen konnte, bevor ich mich ganz den Kindern widmen durfte. Dadurch, daß es die einzige Unterhaltungsquelle für mich in den Pausen zwischen den Schwimmeinheiten war, hab ich dann doch immer ein schönes Stück pro Tag geschafft. Wenn ich aber mal ein paar Tage nicht dazu gekommen bin, dann musste ich mich erst wieder hineinfinden, wer jetzt nochmal wer war.
      Wenn man das Buch also nur so nebenher lesen möchte, ein paar Seiten am Tag, dann glaube ich ist es wirklich schwierig, hineinfinden.

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      1. Ja… Ich hatte jetzt auch wirklich große Sehnsucht nach Italien (dieses Jahr komm ich leider nur bis Österreich). Der Vorsatz fürs nächste Jahr ist aber definitiv mit Band zwei nach Italien zu fahren.

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  2. Den ersten Teil habe ich letztes Jahr gelesen, lese gerade den Zweiten und der dritte steht bereit. Ich liebe gerade die vielen Personen, die schier unendlichen Details die teilweise nichts zum Verlauf der Story beitragen und sich später doch als relevant erweisen – wie im echten Leben halt. Auf jeden Fall empfehlenswert!

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  3. Ich hatte das Buch gerade auch wieder in der Hand, weil ich mir bei meiner Oma Bücher aussuchen durfte und da war dieses auch dabei. Abe irgendwie springt es mich nicht richtig an, obwohl es mir von der Buchhändlerin meines Vertrauens empfohlen wurde und wir meistens den gleichen Geschmack haben. Aber jedes Buch hat wohl wirklich seine Zeit, wann es gelesen werden möchte.

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