Review: Liebe in Lourdes

Viele Blogger bekamen ja im letzten Monat „Liebe in Lourdes“ von Sophie von Maltzahn mit einem glühenden Brief des Lektors als kleine Überraschung zugesandt.
Der Titel schreckte mich zunächst einmal ab; Liebesromane sind einfach nicht meine Welt, der Klappentext versprach aber eine Geschichte, die durchaus Potenzial hatte.

Offenbar pilgern viele Adelige gerne und manche von ihnen schließen sich dabei einem Orden an, um mit einer Gruppe behinderter Kinder nach Lourdes zu fahren und sich in der Zeit um diese Kinder zu kümmern. Natürlich stilecht in Uniform und Schwesternkostüm mit Umhang und Häubchen.
Hier präsentiert man sich von seiner besten Seite: als frommer und aufopferungsvoller Mensch, um vielleicht einen geeigneten Heiratskandidaten unter den adeligen Mitpilgern zu finden.

Die Idee, daß man nun eine Enddreißigerin aus dem hippen Berlin auf diese Reise gehen lässt fand ich noch ganz spannend. Stößt da kritisches Denken auf religiöse Dogmen?
Wie fühlt sich jemand, der noch nie mit behinderten Menschen gearbeitet hat und vielleicht bisher nur für sich selbst verantwortlich war?
Man hätte durchaus etwas spannendes aus diesem Stoff machen können, doch dann trudelten nach und nach die Meinungen der anderen Blogger ein und rechte Begeisterung kam da nicht auf.
Besonders lesenswert fand ich den Beitrag von Alexandra vom Read Pack Blog, die die Darstellung von Menschen mit Behinderung in diesem Buch kritisiert und auch sehr eindrücklich von ihren eigenen Erfahrungen berichtet. Ihre Rezension findet Ihr hier.

Nach einigem hin und her entschloss ich mich dann aber doch, das Buch zu lesen und ich kann nur sagen, daß sich all meine Befürchtungen bewahrheitet haben.

Schon rein sprachlich lässt einen der Roman immer wieder innerlich aufstöhnen. Ständig wird da ins Englische oder Lateinische gewechselt, offenbar der Versuch, dem Leser eine gewisse Weltläufigkeit und religiöses Wissen zu suggerieren.
Dazu dann noch kryptische Fußnoten, die möglicherweise gehobene Literatur sein sollen, aber beim Lesen nur für Augenrollen sorgen. Nein sprachlich kann „Liebe in Lourdes“ mich nicht überzeugen.
Vielleicht könnt Ihr ja mehr damit anfangen, hier ein kleines Beispiel:

„Dann lass uns derweil für Anke ein Souvenir besorgen. Ein bisschen Zeit haben wir ja noch.“*

* While the angels sing.

Gut, vielleicht ist es große Kunst und ich verstehe es nicht, allerdings konnte mich auch die Handlung nicht überzeugen.

Kassandra, die Hauptfigur fährt also mit einem Orden und einer Gruppe behinderter Kinder im Sonderzug nach Lourdes, ihre persönliche Überzeugungen werden nie wirklich ganz klar, manchmal stellt sie kritische Fragen, was die Marienerscheinungen betrifft, dann wieder verfällt sie ganz plötzlich in ein regelrechtes High, das durch die Anwesenheit Gottes, oder irgendwas im Wasser ausgelöst wird, jedenfalls läuft sie kapitelweise wie eine Besoffene durch die Geschichte.
Natürlich verliebt sie sich auch, nämlich in „Oki“, mit dem es dann ein großes Happy End gibt, als sich herausstellt, daß ihm ganz zufällig ein Schloss gehört und somit das letzte Klischee abgehakt wäre.

Und können wir bitte nochmal über die Kinder sprechen?
Alexandra hatte ja schon gesagt, daß die Art und Weise wie hier über Menschen mit Behinderung geschrieben wird, einfach nur falsch ist. Ständig liest man „diese Geschöpfe“ oder „diese Kreaturen“… Immer wieder ist Kassandra komplett überrascht, wenn eines der Kinder (die übrigens zum Teil schon Bartwuchs haben, aber das Alter spielt hier offenbar keine Rolle, solang es sich nur um eine „hilflose Kreatur“ handelt) eine halbwegs menschliche Regung zeigt.

Was mir aber auch die ganze Zeit über sauer aufgestoßen ist, war der Umgang der Pilger mit den Kindern. Da wird nämlich die ganze Zeit gebusselt, geschmust oder zu den Kindern ins Bett gekrabbelt, um mit ihnen zu kuscheln.
Es ist ein wirklich sonderbares Bild, was da gezeichnet wird (und ich möchte an dieser Stelle absolut keinen Vorwurf der Pädophilie bringen), aber ich hatte immer das Gefühl, daß da Grenzen überschritten werden.
Ich weiß zum Beispiel aus dem Kindergarten meines Sohnes, daß die Erzieher*innen einen bestimmten Verhaltenscodex befolgen, was die Nähe zu Kindern angeht. Nähe, die die Kinder signalisieren ist okay, sich ein Kind allerdings auf den Schoß zu ziehen, wenn es nicht darum gebeten hat, ist mittlerweile ein No-Go.

Wie steht es also mit behinderten Kindern, denen körperliche Nähe vielleicht sehr wichtig ist, die das allerdings nicht verbalisieren können?
Bin ich da zu kritisch, wenn ich sage, daß ich es irgendwie bedenklich finde, daß da wildfremde Menschen (und man muss hier nochmal betonen, daß die Pilger nur in dieser einen Woche der Pilgerschaft etwas mit den Kindern zu tun haben) mit diesen Kindern herumbusseln?
Also habe ich einen Freund gefragt, der als Sonderschullehrer mit behinderten Kindern arbeitet und auch er sagte, daß das ein No-Go für ihn ist.

Und nur um das noch einmal zu betonen: ich spreche hier nicht von Unsittlichkeiten. Aber all dieses Geherze und Geschmuse machte auf mich immer den Eindruck, als ob es eher die Erwachsenen waren, die sich etwas bei den Kindern geholt haben.
Mitunter war ich fast schon an Delfintherapie erinnert, so als bräuchten es die adeligen Pilger mehr als die Kinder, in den Arm genommen zu werden und so denkt sich Kassandra am Ende auch: „Danke, dass du für eine Woche eine Mutter aus mir gemacht hast!“

Abgesehen von dem gewollt gekünstelten Stil und der flachen Handlung fand ich die Darstellung und den Umgang mit behinderten Menschen in diesem Buch wirklich sehr bedenklich.
Von mir gibt es definitiv keine Empfehlung.

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Autor: Lesen... in vollen Zügen

Seit 20 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin in München und seit 2017 gibt es nun "Lesen... in vollen Zügen". Hier möchte ich euch vorstellen, welche Bücher mich gerade bewegen. Meine Beträge verfasse ich im Plauderton, eben so, wie ich auch mit meinen Kunden im Laden ins Gespäch komme. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktueller deutsch- und englischsprachiger Literatur. Aber ich bin auch ein großer Fan von schönen Illustrationen und stelle deshalb regelmäßig Graphic Novels und spannende illustrierte Sachbücher vor. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und Amélie Nothomb. Außerdem mache ich mir immer wieder Gedanken zum Thema Leseverhalten in der Rubrik Mein Leben als Leser und plaudere aus dem Nähkästchen in Bekenntnisse einer Buchhändlerin. Wem jetzt aber die Züge bei "Lesen... in vollen Zügen" zu kurz kommen, der kann gerne bei In vollen Zügen nach… vorbei schauen. Hier berichte ich von meinen Zugreisen, den Büchern, die mich dabei begleiten, den Städten die ich besuche und natürlich auch von schönen Buchhandlungen, die es dort zu entdecken gibt.

10 Kommentare zu „Review: Liebe in Lourdes“

  1. Uih! Seit 20 Jahren arbeite ich als Krankenpfleger mit Menschen mit Behinderung zusammen: Das wäre definitiv der richtige Roman für mich gewesen, um mich mal wieder hemmungslos aber anscheinend absolut begründet aufregen zu können. Wir arbeiten hart daran, Normalität zu leben und Barrieren, die es bei einigen Menschen nach wie vor gibt, abzubauen. Und dann kommt da so´n Roman daher und wird vom Lektor auch noch wie Sauerbier angeboten. Es gibt noch viel zu tun!!!

    Gefällt 3 Personen

    1. Ja, dieses Buch war wirklich keine Bereicherung.
      Ich wusste das zwar schon vorher und hätte es mir eigentlich lieber erspart, allerdings war ich dann doch der Meinung, daß man das Buch so nicht stehen lassen kann und man da informiertes Feedback geben muss.
      Deshalb hab ich es dann doch gelesen, aber man hat wirklich immer wieder ein ganz ungutes Gefühl, wie das so abläuft.
      Besonders bedenklich: die Autorin hat sich ja da keine Geschichte ausgedacht. Sie macht solche Pilgerreisen mit behinderten Kindern wirklich. Und an einer Stelle wird ein Buch von einer anderen Adeligen erwähnt, die in der Geschichte auch mit von der Partie ist. Das lies sich leicht herausfinden um wen es sich dabei handelt, weil kreatives Umschreiben nicht der Falle der Autorin ist. Jedenfalls war das die Thurn und Taxis Tochter.
      Es gibt also wohl tatsächlich Adelige, die dann zusammen in Sankt Moritz sitzen und sich Geschichten erzählen wie sie eine ganze Woche den Komfort ihres Schlosses aufgegeben haben, um sich um Gottes hilflose Kreaturen zu kümmern… 🙄 Und so sehr ich ja befürworte, freiwillige soziale Dienste zu leisten, so merkwürdig ist dieser Umgang mit den Kindern, die sie noch nie gesehen haben und in vielen Fällen nicht mehr sehen werden.

      Gefällt 1 Person

  2. Hallo,

    der erste Teil kommt mir bekannt vor. Auch ich hatte das Buch im Briefkasten, und auch ich dachte erst: Urgs, ein Liebesroman?! Ich fand aber auch, dass der Klappentext interessant klang.

    Im Gegensatz zu dir habe ich das Buch allerdings noch nicht gelesen, bin aber inzwischen zunehmend skeptisch… Die kritischen Meinungen (wie deine) sind einfach zu überzeugend begründet, und als Mensch mit Schwerbehinderung krieg ich bei den Beschreibungen, wie im Buch mit dem Thema Behinderung umgegangen wird, schon die Schnappatmung.
    Wahrscheinlich würde mich das Buch total runterziehen. Wahrscheinlich sollte ich es direkt in den öffentlichen Bücherschrank stellen. Ich habe schon mal bei einem Buch vor Wut geheult, weil ein Mensch mit Behinderung (mit MEINER Behinderung) vollkommen falsch und respektlos dargestellt wurde, das brauch ich nicht nochmal…

    LG,
    Mikka

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