Das Leben der Familie Goldschmidt wird vom einen auf den anderen Tag auf den Kopf gestellt. Es ist der Tag, an dem die fünfzehnjährige Tochter Miriam ohne jede Vorwarnung einen Herzstillstand erleidet.
Zwar kann sie sofort Reanimiert werden und augenscheinlich geht es ihr nach dem Vorfall gut, doch für ihre Eltern und ganz besonders ihren Vater Adam, ist danach nichts mehr so, wie es einmal war.
Offenbar wurde der Herzstillstand durch einen anaphylaktischen Schock ausgelöst: eine Allergie auf ein Lebensmittel, das die Ärzte nicht bestimmen können, gepaart mit Kälte oder körperlicher Anstrengung… Man weiß zu wenig, um zu verhindern, daß es noch einmal passiert und Adam begreift, daß nicht nur Miriam betroffen sein könnte; schließlich ist auch schon seine Mutter beim Schwimmen ertrunken, obwohl sie gesund und gut trainiert war. Hatte etwa auch sie einen anaphylaktischen Schock?
Als dann seine kleine Tochter Rose im Schwimmbad plötzlich an Atemnot leidet, scheint sich die Vermutung zu erhärten, daß es sich um ein genetisches Problem handelt.
Jeder in der Familie geht auf andere Art mit dieser neuen Situation um: Miriam möchte einfach nur ganz normal weiterleben, Rose ärgert sich über die Aufmerksamkeit, die ihre große Schwester plötzlich bekommt, Mutter Emma stürzt sich bis zur Selbstaufgabe in ihre Arbeit als Ärztin, weil sie weiß, daß das marode Gesundheitssystem ihren eigenen Kindern vielleicht nicht helfen kann und Adam reagiert mit kopfloser Panik. Der Gedanke, daß seine Tochter jederzeit sterben könnte lässt ihr kaum noch schlafen, selbst beim Gang zur Toilette hat er Angst, Miriam aus den Augen zu lassen, und so nehmen die Spannungen innerhalb der Familie immer mehr zu…
Sarah Moss ist eine Autorin, die mir von allen Seiten empfohlen wurde. Zu Recht, denn ihr Schreibstil ist wirklich phänomenal gut!
Abgesehen von der eigentlichen Geschichte in „Gezeitenwechsel“ flicht sie auch immer wieder kurze Kapitel über die Erbauung der Kathedrale von Coventry ein, schließlich ist Adam nicht nur Hausmann und Vater, sondern auch Teilzeitdozent für Kunst und Architektur und soll einen Audioführer für ebendiese Kathedrale konzipieren.
Und so wird ein flüchtiges, zerbrechliches Menschenleben neben den Bau eines Monuments gestellt, das die nächsten fünfhundert Jahre überdauern soll; diesen Wechsel fand ich erzählerisch ganz wunderbar.
Ein bißchen schwieriger dagegen war es für mich, Adams Panik in machen Teilen nachzuvollziehen. Seine absolute Unfähigkeit, sich auf die Situation einzustellen und die Tatsache, daß jedes andere Thema – und da gäbe es genug, beispielsweise das „umgekehrte“ Rollenmodell in der Familie, mit dem Adam in seiner Umgebung immer wieder aneckt, oder die Probleme in seiner Ehe, nachdem sich Emma mehr und mehr in die Arbeit zurückzieht – zwangsläufig wieder zu Miriams Zusammenbruch zurückkommt, empfand ich mit der Zeit als etwas anstrengend.
Ich habe da sehr mit mir gehadert, denn darf man es jemandem ankreiden, der so panisch reagiert, nachdem das Herz seines Kindes für kurze Zeit aufgehört hat zu schlagen?
Ich musste immer wieder an meinen Jüngsten denken, denn er wurde, wie es der Zufall so will, selbst während eines Herzstillstands geboren, wobei geboren in diesem Fall bedeutet: in letzter Sekunde aus meiner zerrissenen Gebärmutter herausgeschnitten.
Die Wahrscheinlichkeit, daß ihm das noch einmal passiert liegt also bei null, und ich muss nicht mit der Angst leben, daß er jederzeit zusammenbrechen könnte.
Ich kann aber auch sagen: „Es gibt kein schlimmeres Geräusch auf der Welt, als die Stille die eintritt, wenn das Herz deines Kindes aufgehört hat zu schlagen. Und wenn es wieder anfängt, dann atmet man tief durch und dann lebt man sein Leben weiter und ist dankbar, daß es nochmal gut ausgegangen ist.“
Genau das schafft Adam aber nicht und so drehte sich die Geschichte für mich immer wieder im Kreis.
Dennoch hat mich das Buch sehr gefesselt. Denn schreiben, das kann Sarah Moss definitiv!
Und so wird „Gezeitenwechsel“ bestimmt nicht das letzte Buch gewesen sein, das ich von dieser Autorin gelesen habe.
Deine Buchvorstellung wird mit Deiner persönlichen Erfahrung und Erinnerung sehr berührend.
Danke, herzliche Wünsche und Grüße
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Danke… Ich finde ja, daß persönliche Erfahrungen immer beeinflussen, wie wir ein Buch lesen. Vielleicht hätte mich die Panik des Vaters nicht so angestrengt, wenn ich selber nie in der Situation gewesen wäre.
Wenn ich vermute, daß meine Erfahrungen meine Meinung zur Lektüre beeinflussen, dann erkläre ich das gerne, daß die Leser dann besser abschätzen können, ob sie vielleicht das selbe Problem damit haben könnten, oder eher nicht.
Liebe Grüße,
Andrea
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