Review: Der Zopf meiner Großmutter

Maxim ist ein kränkliches und vermutlich zurückgebliebenes Kind… Zumindest, wenn es nach seiner Großmutter geht. Denn während in Russland noch diverse Krankheiten diagnostiziert wurden, halten die offenbar unfähigen deutschen Ärzte den Jungen für vollkommen gesund, und so nimmt die Großmutter Maxims „Behandlung“ selbst in die Hand, verbietet ihm bestimmtes Essen nach Gutdünken, desinfiziert alles, worauf sein Blick fallen könnte und füttert ihn mit selbstgemachten Babybreichen bis über die Grundschulzeit hinaus.

Dabei ist sie ebenso fürsorglich wie grausam; zum Beispiel, wenn sie in mühevoller Arbeit eine riesige Sahnetorte zu Maxims Geburtstag bäckt, nur um sie dann vor seinen Augen selbst zu verspeisen, denn schließlich würde diese Köstlichkeit den Kleinen wohl ins frühe Grab bringen…

Doch das Leben der kleinen Familie ändert sich, als sich Maxims Großvater plötzlich in die Nachbarin Nina verliebt. Die Großmutter ignoriert die Beziehung mit einer beinahe schon fatalistischen Haltung, bis der kleine Tschingis das Licht der Welt erblickt und Maxims Großvater so aus dem Gesicht geschnitten ist, daß nicht einmal mehr die Großmutter die Tatsachen verleugnen kann.

Nach der Geburt verfällt Nina jedoch in eine schwere Depression, und so nimmt die Großmutter kurzerhand das Baby und Ninas Tochter Vera bei sich auf.
Es ist eine wirklich seltsame Familie, die Großmutter, Großvater, Nina, Maxim, Vera und der kleine Tschings da bilden.
Die Frauen respektieren sich, kämpfen um ihre Freiheiten und verzweifeln doch aneinander, die Kinder verbrüdern sich, der Großvater schweigt zu allem und der Kleinste wird verwöhnt wie ein Prinz.
Als der Großvater dann einen schlimmen Unfall erleidet, wird die Familie auf eine harte Probe gestellt…

„Der Zopf meiner Großmutter“ war mein erstes Buch von Alina Bronsky, aber bestimmt nicht mein letztes!
Ihr Stil ist leicht und schnell zu lesen und trotzdem schafft sie es immer wieder ganz wunderbare, profunde kleine Beobachtungen und Wahrheiten in Worte zu kleiden.
Bronskys Charaktere, besonders die Großmutter, sind so herrlich überzeichnet, daß man gar nicht anders kann, als sie sofort ins Herz zu schließen, obwohl man hin- und hergerissen ist, zwischen der Liebe, die sie offensichtlich zu ihrer Familie empfindet und den schrecklichen Kommentaren, die sie vom Stapel lässt.

Und so schwankt man in diesem Buch immer wieder zwischen Lachen, Empörung und Sentimentalität. Eine wirklich schöne Lektüre, die wohl eines meiner Highlights des Sommers werden wird.

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Autor: Lesen... in vollen Zügen

Seit 20 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin in München und seit 2017 gibt es nun "Lesen... in vollen Zügen". Hier möchte ich euch vorstellen, welche Bücher mich gerade bewegen. Meine Beträge verfasse ich im Plauderton, eben so, wie ich auch mit meinen Kunden im Laden ins Gespäch komme. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktueller deutsch- und englischsprachiger Literatur. Aber ich bin auch ein großer Fan von schönen Illustrationen und stelle deshalb regelmäßig Graphic Novels und spannende illustrierte Sachbücher vor. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und Amélie Nothomb. Außerdem mache ich mir immer wieder Gedanken zum Thema Leseverhalten in der Rubrik Mein Leben als Leser und plaudere aus dem Nähkästchen in Bekenntnisse einer Buchhändlerin. Wem jetzt aber die Züge bei "Lesen... in vollen Zügen" zu kurz kommen, der kann gerne bei In vollen Zügen nach… vorbei schauen. Hier berichte ich von meinen Zugreisen, den Büchern, die mich dabei begleiten, den Städten die ich besuche und natürlich auch von schönen Buchhandlungen, die es dort zu entdecken gibt.

5 Kommentare zu „Review: Der Zopf meiner Großmutter“

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