Review: Stella

Mein Stapel der zu rezensierenden Bücher will gar nicht kleiner werden und auch wenn hier noch vieles liegt, was mich begeistert hat, ist es doch höchste Zeit, sich um die Titel zu kümmern, die – seit Monaten ganz stiefmütterlich behandelt – immer weiter nach hinten rutschen.

Heute also „Stella“ von Takis Würger, das ich zwar schon auf Höhe des Hypes gelesen hatte, zu dem aber soviel gesagt wurde, daß ich lange überlegt habe, wo ich nun eigentlich stehe.
Die Feuilletons zerrissen dieses Buch gnadenlos, Buchhändler sprangen Takis Würger bei, andere riefen zum Boykott auf, die Schmökerbox goss noch ein wenig Öl ins Feuer, als sie „Stella“ mit Badebomben-Goodies verschickte. NS-Romantik im Blubberbad?
Ich stand irgendwo dazwischen und zuckte nur resigniert mit den Schultern.

Doch für alle, an denen das ganze Drama um dieses Buch vorbeigegangen ist, hier eine kurze Zusammenfassung:

Friedrich kommt aus einer wohlhabenden Schweizer Familie, doch 1942 entschließt er sich, ausgerechnet nach Berlin zu gehen, um dort an Kunst-Kursen teilzunehmen. Es eine Mischung aus Abenteuerlust, Rebellion und Neugier die ihn nach Nazi-Deutschland gebracht hat; besonders politisch interessiert ist Friedrich jedenfalls nicht.

Bei seinem ersten Kunst-Kurs lernt er die kesse Kristin kennen, die dort als Aktmodell arbeitet und außerdem in Nachtklubs auftritt. Sofort ist Friedrich fasziniert von dieser Frau und beginnt, mit ihr und ihrem Bekannten Tristan das Berliner Nachtleben zu erkunden.

Doch bald stellt sich heraus, daß seine neuen Freunde nicht nur die fröhlichen Partygänger sind, als die Friedrich sie kennengelernt hat. Tristan ist ein Offizier der SS und Kristin, die eigentlich Stella heißt, ist Jüdin, hat allerdings keinerlei Bezug zu dieser Religion. Sie arbeitet als Greiferin, das heißt, sie spioniert die Verstecke von anderen Juden aus, um diese dann der Gestapo auszuliefern.
Zwar tut sie dies, nachdem sie gefoltert wurde und ihre Eltern ins Gefängnis gesteckt wurden, doch geschieht es auch mit einer gewissen Nonchalance, denn man merkt, daß sie der Ideologie der Nazis näher steht, als ihren jüdischen Wurzeln…

Ich muss ganz ehrlich sagen, daß ich nach all den Monaten immer noch keine rechte Meinung zu diesem Buch habe. Was ich allerdings mit Sicherheit sagen kann ist daß es wesentlich mehr Wirbel um diesen Roman gab, als gerechtfertigt gewesen wäre.

Die Geschichte lässt sich gut und schnell lesen, sie greift ein Thema auf, von dem ich zuvor nichts wusste und schlägt den Leser schnell in seinen Bann.
Allerdings bleibt alles in diesem Buch – die Beweggründe, die Motive, die Konsequenzen – absolut oberflächlich und damit hatte ich ein Problem.
Bestimmt ist es nicht leicht, über die moralischen Konflikte einer realen Person zu schreiben, die ja so nicht näher dokumentiert sind. Es bleibt also bei oberflächlichen Mutmaßungen, und das ist gerade bei einem so schwierigen Thema ein echtes Manko.
Vielleicht wäre es vom Autor schlauer gewesen, sich von der realen Person der Stella Goldschlag zu lösen und stattdessen eine fiktive Figur mit ähnlicher Geschichte zu schaffen. Man hätte so das Seelenleben einer Person, die zum Instrument des Nazi-Regimes wurde, freier erforschen können.

Mein Kollege formulierte es wohl am besten, als er sagte: „Wenn man sich entscheidet, über den Abgrund zu schreiben, dann muss man auch in den Abgrund blicken!“
Mir fehlte jedenfalls dieser Abgrund. Stattdessen ist Stellas Geschichte eine von mit Drogen versetzten Pralinen, Schaumbädern und rauschenden Partys.
Schade, man hätte mehr daraus machen können!

Autor: Lesen... in vollen Zügen

Seit 20 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin in München und seit 2017 gibt es nun "Lesen... in vollen Zügen". Hier möchte ich euch vorstellen, welche Bücher mich gerade bewegen. Meine Beträge verfasse ich im Plauderton, eben so, wie ich auch mit meinen Kunden im Laden ins Gespäch komme. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktueller deutsch- und englischsprachiger Literatur. Aber ich bin auch ein großer Fan von schönen Illustrationen und stelle deshalb regelmäßig Graphic Novels und spannende illustrierte Sachbücher vor. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und Amélie Nothomb. Außerdem mache ich mir immer wieder Gedanken zum Thema Leseverhalten in der Rubrik Mein Leben als Leser und plaudere aus dem Nähkästchen in Bekenntnisse einer Buchhändlerin. Wem jetzt aber die Züge bei "Lesen... in vollen Zügen" zu kurz kommen, der kann gerne bei In vollen Zügen nach… vorbei schauen. Hier berichte ich von meinen Zugreisen, den Büchern, die mich dabei begleiten, den Städten die ich besuche und natürlich auch von schönen Buchhandlungen, die es dort zu entdecken gibt.

27 Kommentare zu „Review: Stella“

  1. Hm. Ich hatte schon was über das Buch gelesen, letztens in der Bücherei in der Hand gehabt und wieder weg gelegt. So ein Funke war nicht rüber gesprungen. Und da ich auch so viele Bücher gerade habe…
    Viel Spass beim Abbau Deines Stapelstuhl. Bei mir klappt das gerade gar nicht 😃 immer was Neues
    Liebe Grüße
    Nina

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  2. Das Bild mit dem Abgrund trifft es. Und genau das sieht Würger, der sich ja beinah als verfolgt inszeniert, auch im Nachinein nicht ein.
    „Stella“ selbst will ich Würger kaum vorwerfen, anderer Erinnerungskitsch wurde auch bejubelt, wie hätt er wissen sollen, dass die öffentliche Meinung auf einmal so ne Art Geschmack entwickelt . Aber wenn einem auf all die Kritik nur einfällt „90% der Rückmeldungen sind positiv“, ist das schon echt erbärmlich. Wer zum Thema Shoah-Literatur auf Volksabstimmungen baut, muss dazu insgesamt ein komisches Verhältnis haben.

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    1. Naja… Schlecht wird Takis Würger aus der Sache sicher nicht rausgehen. Durch die ganze Diskussion haben sich vermutlich doppelt so viele Exemplare verkauft, als man vorher gedacht hätte. Vielleicht nimmt er die Kritik ja an und macht es das nächste Mal besser, vielleicht auch nicht. Wird wohl spannend sein, zu sehen in welche Richtung er sich jetzt als Autor entwickelt.

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      1. Ja, und obwohl man jedem persönliche Entwicklung zugestehen sollte, das sitzt mir mit diesem ganzen Betrieb am quersten:
        Schreiben kann ich den Leuten ein gutes Stück weit beibringen, aber wenn jemand wissen will „Wie werde ich ein sogenannter Erfolgsschriftsteller“, dann ist die richtige Antwort wohl a) er-netzwerke dir die richtigen Leute, oder besser b) mach die richtigen Leute wütend. Das ist zynisch genug, aber ob gewollt oder ungewollt, als Tanz auf Massengräbern tut es richtig weh, wenn man nur einen Moment länger drüber nachdenkt.

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      2. Ich glaube, darüber hat er nicht wirklich nachgedacht…
        Aber der Stoff war ja vorher auch schon höchst seltsam verarbeitet worden. Gab es nicht sogar ein Musical dazu?
        Deine Erfolgsrezepte scheinen aber bei erster Betrachtung idiotensicher zu sein. 😉

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      3. Nein, ich denke auch nicht, dass das eine bewusste Masche war. Aber allein der Gedanke, dass das eben „so läuft“ bzw laufen kann – man schreibt ein schlechtes Buch über den Holocaust, kriegt Prügel & profitiert am Ende davon ist schrecklich, obwohl mich da echt nix mehr desillusionieren kann…

        Ich hätt vergangenes Jahr zB auch im Fernsehn Videospiele dissen können, weil so ein Scout einen Artikel von mir falsch verstanden hatte. Das wär vll auch so eine Startrampe gewesen, wenn ichs nicht klargestellt hätte… dieser Spektakel-Kram nervt mich einfach tierisch.

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      4. Ja… Man weiß halt nicht, wie schwierig es wirklich für ihn war, so zerrissen zu werden und was davon nur Masche war.
        Ich bin ja ein großer Fan von zuhören, überlegen, notfalls klarstellen und daraus lernen.
        Schauen wir mal, wie es beim nächsten Buch wird…

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      5. Ich werd ihm beim nächsten dieses Buch sicher nicht nachtragen 😉 Mir gehts eher um die gesamte Struktur, die ja auch nicht auf den Literaturmarkt beschränkt ist.

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  3. Das Buch würde mich auch interessieren. Hab von der Kontroverse gar nichts mitbekommen. Schade, dass es anscheinend nicht so viel Tiefgang hat wie von einem Buch mit solchen Themen zu erwarten ist.
    Liebe Grüße, Aurora

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  4. Stella wenn ich recht weiß Stella Kübler, ein Buch das man nun wirklich nicht braucht, diese Person war ein ziemlich übles Subjekt, das wie man nur sagen kann G´tt sei Dank nach dem Krieg für ihre Taten mit Gefängnis bestraft wurde.
    Über solche Personen muss man nicht schreiben diese Art Bücher braucht niemand.
    Schalom
    KuR

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    1. Ich denke, man kann über solche Personen schon schreiben und vielleicht ist es sogar wichtig, um zu verstehen, wie man so etwas tun kann um daraus für die Zukunft zu lernen, allerdings hat man dann als Autor eine gewisse Verantwortung, wie man mit der Figur umgeht. Wenn dann so ein Thema plötzlich romantisiert wird, dann hätte man es besser nicht getan…
      Liebe Grüße zurück,
      Andrea

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  5. Nach dem ganzen Hype hab ich es mir auch aus der Bücherei besorgt, war aber auch eher gelangweilt ob der Oberflächlichkeit. Ich war bei der Lesung und da hat Takis Würger erzählt wie viel er über das Thema recherchiert hat und dafür geht es mir auch viel zu wenig in die Tiefe. Schade, aus der Geschichte hätte man tatsächlich viel mehr machen können. Aber ich bin auf die echte Stella neugierig geworden. Da gibt es ja eine Biographie, die jetzt natürlich wieder neu aufgelegt wurde. Vielleicht erfährt man da mehr über die Beweggründe.

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    1. Ja, ich habe auch davon gehört, daß Würger da wohl wirklich lange recherchiert hat, aber trotzdem hat er sich wohl nicht getraut, da tiefer in das Seelenleben dieser Frau einzutauchen.
      Ich muss morgen mal eine Freundin fragen, die die Biografie auch gelesen hat… Wobei man der natürlich auch nicht zu einhundert Prozent glauben kann, immerhin war der Autor wohl seinerzeit in Stella verliebt, bzw mit ihr befreundet…?
      Ich find das morgen mal raus. 😉
      Liebe Grüße.

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