Review: Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen

Vor einiger Zeit gab es ja eine etwas erschreckende Statistik darüber, wie wenige Bücher von Autorinnen in den Feuilletons besprochen werden. Viele Blogger nutzten die Diskussion, um einmal durchzuzählen, wie es denn mit der eigenen Männer/Frauen-Ratio bei der Lektüreauswahl aussah.
Ich selbst lese in dieser Hinsicht zwar sehr ausgeglichen, aber ich fand es spannend zu sehen, wie divers ich denn eigentlich lese. Es gab einige Bücher von POC oder LGBTQ+ Autoren, aber plötzlich wurde mir bewusst, daß ich seit Jahren kein Buch eines muslimischen Autors mehr gelesen hatte. Es hatte sich wohl einfach nicht ergeben und ich stellte fest, daß man – selbst wenn man ein so breites Lesespektrum hat wie ich – oft doch in einem gewohnten Schema festhängt.

Für dieses Jahr hatte ich mir also vorgenommen, ein bißchen diverser zu Lesen, was Religionen betrifft und durch einen Zufall, oder besser: durch ein nettes Gespräch auf der Leipziger Buchmesse, fiel mir dann „Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen oder Der Islam und ich“ von Luna Al-Mousli in die Hände.
Der perfekte Titel, um meinen Vorsatz in die Tat umzusetzen!

Luna Al-Mousli wurde 1990 in Österreich geboren und wuchs in Damaskus auf, bis die Familie 2004 zurück nach Wien ging.
In „Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen“ erzählt sie von ihrer Kindheit in Syrien, und während wir mit diesem Land heute hauptsächlich Bilder von ausgebombten Städten und Flüchtlingsströmen verbinden, zeichnet sie ein so lebendiges und liebevolles Bild ihrer Heimat, daß mich, die ich mich vor dem Krieg nie mit diesem Land beschäftigt habe, beim Lesen stets ein Gefühl der Traurigkeit und des Wehmuts begleitet hat, für alles, was dort in den letzten Jahren verloren ging.

Denn das Damaskus von dem Luna Al-Mousli erzählt, kommt einem fast vor wie eine Stadt aus dem Märchen, mit seinen Muezzinen, die eine besondere Gesangsausbildung durchlaufen und deshalb ganz besonders melodisch zum Gebet rufen, mit seinen prächtigen Gärten und den Festen, die die Jahreszeiten prägen.

Überhaupt, die Feste!
Ich habe mich bis dahin nie mit islamischen Feiertagen beschäftigt, doch so wie Luna Al-Mousli darüber schreibt, wurde ich ja ein bißchen neidisch, wenn man von all den köstlichen Speisen liest und von den Ritualen, die die ganze Familie zusammen feiert.

Wenn man heute über den Islam liest, dann meist in Verbindung mit Terror oder einem frauenfeindlichen Rollenverständnis und dabei vergisst man leider zu oft, daß der überwältigende Teil der muslimischen Welt ein sehr entspanntes Verhältnis zu ihrer Religion hat.
So schreibt Luna Al-Mousli beispielsweise über die Kopftücher ihrer Tanten:

Manche von ihnen entschieden sich, ein Kopftuch zu tragen, andere nicht. Mal nahmen sie es ab, mal trugen sie es wieder. Da blickte ich nicht immer durch. Doch das Kopftuch änderte nichts an ihrer Persönlichkeit. Es war der Ausdruck ihres Glaubens, ihrer Lebensphase, ihrer selbst. Jede von ihnen hatte ihre Gründe, sich für oder gegen das Kopftuch zu entscheiden.

Gerade in Zeiten von medialer Panikmache merke ich, wie wichtig es ist, Bücher wie dieses zu Lesen, in denen nicht schwarz/weiß gezeichnet wird, sondern in dem man einfach nur den Geschichten einer jungen Frau über das Land ihrer Kindheit zuhören darf, das es heute so nicht mehr gibt…

„Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen“ ist übrigens nicht nur inhaltlich, sondern auch gestalterisch ein Kleinod, schließlich hat die Autorin Grafik Design studiert.
Das Büchlein kommt im handlich kleinen Format daher, mit Halbleinenbindung, farblich abgesetzten Seitenrändern und schönen Illustrationen.

Wer also gerne mal einen Blick über den Tellerrand wirft, ganz ohne Drama und mit ein wenig Nostalgie, dem möchte ich dieses Buch wärmstens ans Herz legen.

Autor: Lesen... in vollen Zügen

Seit 20 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin in München und seit 2017 gibt es nun "Lesen... in vollen Zügen". Hier möchte ich euch vorstellen, welche Bücher mich gerade bewegen. Meine Beträge verfasse ich im Plauderton, eben so, wie ich auch mit meinen Kunden im Laden ins Gespäch komme. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktueller deutsch- und englischsprachiger Literatur. Aber ich bin auch ein großer Fan von schönen Illustrationen und stelle deshalb regelmäßig Graphic Novels und spannende illustrierte Sachbücher vor. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und Amélie Nothomb. Außerdem mache ich mir immer wieder Gedanken zum Thema Leseverhalten in der Rubrik Mein Leben als Leser und plaudere aus dem Nähkästchen in Bekenntnisse einer Buchhändlerin. Wem jetzt aber die Züge bei "Lesen... in vollen Zügen" zu kurz kommen, der kann gerne bei In vollen Zügen nach… vorbei schauen. Hier berichte ich von meinen Zugreisen, den Büchern, die mich dabei begleiten, den Städten die ich besuche und natürlich auch von schönen Buchhandlungen, die es dort zu entdecken gibt.

17 Kommentare zu „Review: Als Oma, Gott und Britney sich im Wohnzimmer trafen“

  1. Dieses Buch hört sich sehr cool an, danke für die Vorstellung! Dank einiger muslimischer Freunde/Bekannte, bin ich auch sehr an solchen Geschichten interessiert. 🙂
    Liebe Grüße, Aurora

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  2. Allein der Titel ist schon sehr einnehmend …

    In Hamburg hatten wir ägyptische und syrische Freunde. Die bestätigten genau das, was du sagst, dass nämlich gar nicht alle Moslems unbedingt so religiös sind. Ausser einem, der aber auch kein Fanatiker war, war von unseren Freunden niemand besonders religiös, und die meisten haben Deutsche geheiratet. Die Mehrzahl der Menschen will überall einfach nur in Frieden leben.

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  3. Ich kann auch sehr ihr erstes Buch „Eine Träne. Ein Lächeln“ empfehlen. Das ist genauso hübsch, nur in rot gehalten und alle Kurztexte sind auch noch auf arabisch abgedruckt. Dafür hat sie übrigens den österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis erhalten. Ich bin tatsächlich gerade dabei das Interview mit ihr zu schneiden. Sie ist wirklich supersympathisch. Ich hoffe, dass der Podcast in den nächsten Tagen online geht. Ich sage auf jeden Fall Bescheid!

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    1. … und gestern bin ich über ihre Kolumne im aktuellen „Südwind-Magazin“ gestolpert und dachte mir: „So begegnet mensch sich wieder“. Danke für die anregende Buchbesprechung und die lesenswerte Kolumne, wo auch ihre Oma vorkommt, hat mein Interesse noch mehr verstärkt.

      Liebe Grüße aus Wien!

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  4. Liebe Andrea,
    ich muss zugeben, in der Buchhandlung hätte ich das Buch nie und nimmer in die Hand genommen. Diese sperrigen Titel finde ich persönlich furchtbar. Aber der Inhalt klingt so schön und ich habe bei deiner Rezension ganz oft nicken müssen, ich lese auch viel zu wenig von muslimischen Autoren und das Thema Islam wird in den Medien wirklich sehr einseitig dargestellt. Ich habe es direkt auf meine Leseliste gesetzt, vielen Dank dafür!
    Ganz liebe Grüße
    Yvonne 🙂

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    1. Liebe Yvonne, danke für die nette Nachricht!
      Ich fand es wirklich sehr bereichernd, dieses Buch gelesen und soviel positives über muslimische Bräuche gelernt zu haben.
      Eine Kollegin hat sich wahnsinnig gefreut, weil die Rezension ausgerechnet am ersten Tag von Ramadan online ging. Ich wusste das gar nicht, also war es purer Zufall! 😂
      Meine Kollegin ist selbst keine Muslima, feiert aber Ramadan mit ihrem Mann und seiner Familie und so konnte sie mir auch noch einiges dazu erzählen.
      Es ist wirklich sonderbar, daß wir die Feste und Bräuche mit denen wir aufwachsen als das Maß aller Dinge nehmen und über die Bräuche von anderen Religionen oft so wenig wissen.
      Ich wünsche dir viel Freude mit dem Buch. 🤗
      Liebe Grüße zurück,
      Andrea

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      1. Ach das ist aber ein cooler Zufall! 😀 Sehr gut. Das hast du wirklich wunderbar ausgedrückt und dem kann ich nur zustimmen. Es fehlt an Informationen, Neugierde und etwas über den Tellerrand schauen. Viel zu oft merke ich, wie wenig Ahnung ich von anderen Kulturen und Bräuchen habe, dabei ist es so ein interessantes Thema! Das Buch wird bestimmt spannend. Dankeschön und ganz liebe Grüße zurück 🙂

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