Review: Nutshell

„Nutshell“ war eines dieser Bücher, die mich reizten, obwohl ich sehr gemischte Meinungen darüber gehört habe.

Die Prämisse ist aber nun auch wirklich ungewöhnlich:

Kurz vor seiner Geburt erzählt ein Baby von den Ereignissen, deren Zeuge er wird.
Die Ehe der Eltern ist völlig zerrüttet, der Vater ist aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen, aber versucht seine hochschwangere Ehefrau zurück zu gewinnen.
Diese hat jedoch mittlerweile eine Affäre mit seinem Bruder begonnen.
Was in der neuen Beziehung stört ist das Baby und natürlich der Ehemann.

Bald schon steht der Plan, diesen aus dem Weg zu räumen, das Baby wegzugeben und ein neues Leben zu beginnen…
Kann der kleine Erzähler die Ereignisse beeinflussen und sein Schicksal selbst in die Hand nehmen?

An sich finde ich die Idee wirklich gut. Anfangs hatte ich allerdings unheimlich mit der Geschichte zu kämpfen, weil ich nicht in den Erzählton hineinfand.
Denn das Baby ist altklug, snobbistisch und hat zu jedem Thema eine Meinung, sei es der Nahostkonflikt oder das Dekantieren von Wein. Um ehrlich zu sein hatte ich anfangs ständig die Stimme von Baby Stewie aus Family Guy im Kopf, was die Geschichte unfreiwillig komisch und anstrengend für mich machte.

Doch irgendwann begriff ich dann endlich, daß es sich bei „Nutshell“ um eine außergewöhnliche Interpretation von „Hamlet“ handelt!
Das Zitat am Anfang des Buches hätte mir ein Hinweis sein sollen, aber erst als ich die Namen von Mutter und Onkel – Trudy statt Gertrude und Claude statt Claudius – endlich in den richtigen Zusammenhang gebracht hatte, begann die ganze Geschichte für mich einen eigenen, überzeugenderen Ton zu bekommen.

Als Teenager war ich nämlich ein ziemlicher Hamlet-Fan. Nachdem ich die Verfilmung von Kenneth Branagh gesehen hatte, las ich alle möglichen Übersetzungen, die mir in die Finger kamen, sammelte verschiedene Ausgaben und besuchte sogar einmal eine Inszenierung im Residenztheater. Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis!

Mit diesem „Hamlet-Ton“ im Kopf las ich den Rest des Buches in einem Rutsch durch und war fasziniert von der Geschichte.
Spannend, was die kleine Stimme, die uns die Bücher im Kopf vorliest so ausmacht!

Insgesamt fand ich „Nutshell“ also wirklich gut, aber ich kann es verstehen, wenn Leser nicht hineinfinden, denn es ist schon eine Herausforderung, dem Protagonisten dieser Geschichte eine überzeugende Stimme zu verleihen.

Deutscher Titel: Nussschale

Autor: Lesen... in vollen Zügen

Seit 20 Jahren arbeite ich als Buchhändlerin in München und seit 2017 gibt es nun "Lesen... in vollen Zügen". Hier möchte ich euch vorstellen, welche Bücher mich gerade bewegen. Meine Beträge verfasse ich im Plauderton, eben so, wie ich auch mit meinen Kunden im Laden ins Gespäch komme. Der Schwerpunkt liegt dabei auf aktueller deutsch- und englischsprachiger Literatur. Aber ich bin auch ein großer Fan von schönen Illustrationen und stelle deshalb regelmäßig Graphic Novels und spannende illustrierte Sachbücher vor. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und Amélie Nothomb. Außerdem mache ich mir immer wieder Gedanken zum Thema Leseverhalten in der Rubrik Mein Leben als Leser und plaudere aus dem Nähkästchen in Bekenntnisse einer Buchhändlerin. Wem jetzt aber die Züge bei "Lesen... in vollen Zügen" zu kurz kommen, der kann gerne bei In vollen Zügen nach… vorbei schauen. Hier berichte ich von meinen Zugreisen, den Büchern, die mich dabei begleiten, den Städten die ich besuche und natürlich auch von schönen Buchhandlungen, die es dort zu entdecken gibt.

12 Kommentare zu „Review: Nutshell“

  1. Hey!
    Es freut mich, dass dir Nussschale dann doch noch gut gefallen hat 🙂
    Ich fand es total gelungen, aber ziemlich skurril, worin vermutlich auch die Faszination bestand.
    Hamlet kenne ich leider nicht.

    Liebe Grüße,
    Nicci

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    1. Es ist natürlich nicht eins zu eins Hamlet, nur die Grundidee und die Namen… Im original ist Hamlet ein Prinz, der im Ausland studiert, als er die Nachricht vom plötzlichen Tod seines Vaters erhält. Als der in Dänemark ankommt ist der Vater schon beerdigt und die Mutter gerade dabei seinen Onkel zu heiraten.
      Dann erscheint der Geist von Hamlets Vater und erklärt seinem Sohn, daß er umgebracht wurde und er ihn rächen muss.
      Das löst eine ziemlich existenzielle Krise bei ihm aus, weil er natürlich auch nicht weiß, ob er einem Geist einfach so glauben soll. Also stellt er dem Onkel eine Falle…
      Ich fand die Geschichte immer super spannend und kann die Branagh Verfilmung wirklich nur empfehlen!
      Sind halt vier Stunden Shakespeare, aber mit einer wahnsinns Besetzung. 😉

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  2. Hi. Oh, das klingt wirklich nach einem komischen bzw speziellen, Bitterböden Buch. Dann doch lieber Mal wieder die wunderbaren (Shakespeare) Filme von K. Brannagh. 😃
    Ein schönes Wochenende
    Liebe Grüße
    Nina

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  3. Hey! Ein sehr schöner Beitrag 🙂
    Mir hat das Buch damals beim lesen trotz des fehlenden Kontextes zu Hamlet sehr gut gefallen. Vielleicht sollte ich dann doch mal einen Blick in die originale Vorlage werfen.
    Liebe Grüße, Robin

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