„Die Schlange von Essex“ stand ja als „Love it or hate it“-Buch auf meiner Liste, denn alle Besprechungen, die ich bisher gelesen habe, waren entweder absolut begeistert oder enttäuscht.
Eigentlich hatte ich es schon im November kurz angelesen, aber der Prolog hatte mich ein wenig abgeschreckt. Die Sätze waren so wahnsinnig schön und poetisch, daß ich dachte: „Puh, das ist kein Buch, das man einfach so weglesen kann. Diesem Buch muss man Zeit geben!“ Und so stellte ich es leider immer weiter hinten an, bis ich es mir diesen Monat doch nochmal fest vorgenommen habe.
Ende des 19. Jahrhunderts ist die junge Witwe Cora Seaborne erleichtert, nach dem Tod ihres Mannes endlich ihr eigenes Leben führen zu können.
Schon lange hat sie mit den Naturwissenschaften geliebäugelt und so entschließt sie sich, mit ihrem Sohn Francis und ihrer Freundin Martha nach Essex zu ziehen, um dort nach Fossilien und anderen Kuriositäten zu suchen.
Kaum angekommen hören sie auch bald die Geschichte der Schlange von Essex… Einem „Meerdrachen“, der schon im Mittelalter sein Unwesen getrieben hat und neuerdings wieder gesehen worden sein soll. Cora ist sofort begeistert von dieser Geschichte. Handelt es sich bei dem Ungeheuer um eine bisher unbekannte, oder vielleicht sogar als ausgestorben geltende Spezies? Sie macht es sich zur Aufgabe, dieses merkwürdige Wesen aufzuspüren.
In dem kleinen Dörfchen Aldwinter, in dem die mysteriöse Schlange gesehen worden sein soll, machen Cora und ihre kleine Entourage die Bekanntschaft der Familie Ransome. Will Ransome, der Pfarrer von Aldwinter, ist schon bald fasziniert von der eigensinnigen Frau, die es liebt mit ihm über Naturwissenschaften und Religion zu streiten. Doch in der Zwischenzeit breitet sich die Furcht vor der Schlange in seiner Gemeinde aus wie ein Lauffeuer…
Zunächst einmal muss ich sagen, daß „Die Schlange von Essex“ nicht unbedingt war, was ich erwartet hatte. Ich dachte anfangs, es wäre vielleicht wie Tracy Chevalier’s „Zwei bemerkenswerte Frauen“, bei dem die Paläonthologin Mary Anning im Mittelpunkt steht. Doch Freunde der Paläonthologie oder Kryptozoologie werden hier vermutlich enttäuscht werden.
Lange ist nicht klar, was die Schlange von Essex denn nun eigentlich ist… Ein Plesiosaurus? Ein Hirngespinst? Eine unbekannte Spezies? Eine Strafe Gottes?
Jede Figur in diesem Buch hat ihre eigene Auffassung davon, was es ist, das die Dorfbewohner in Schrecken versetzt, aber eigentlich steht die Schlange wohl eher als Symbol für zwei Epochen und Weltanschauungen, die aufeinander treffen. Da gibt es die aufgeklärten Wissenschaftler, die die Welt erforschen und damit auch ein wenig entzaubern und diejenigen, die allem Neuen misstrauisch gegenüber stehen und sich in ihren Aberglauben flüchten.
„Die Schlange von Essex“ hat mich schwer begeistert. Man kann sich in diesem Buch nie ganz sicher sein, wohin die Handlung läuft und auch die Charaktere sind wunderbar dreidimensional und unkonventionell, ohne dabei „aus der Zeit zu fallen“.
Ich habe, glaube ich, schon mal geschrieben, daß mich historische Romane immer dann wahnsinnig frustrieren, wenn die Figuren alle Klischees bedienen, oder so stark von ihnen abweichen, daß die Geschichte dadurch unglaubwürdig wird.
In diesem Buch passt alles ganz wunderbar!
Obwohl der Prolog sehr poetisch verfasst wurde, ist das Buch wirklich schön und leicht zu lesen. Man hat geschliffene Sätze, die aber nicht ermüden und ich bin nur so durch die Geschichte geflogen.
Jeden Tag habe ich mich auf die Zugfahrt gefreut, weil ich sie wieder mit diesen starken Charakteren verbringen durfte und gegen Ende wollte ich gar nicht mehr weiterlesen, weil ich Aldwinter und seine Bewohner nicht verlassen wollte.
So sollen Bücher sein!
Für mich war „Die Schlange von Essex“ ein absolutes Love it-Buch und an dieser Stelle möchte ich als begeisterte Bibliophile nochmal ein großes Dankeschön an den Eichborn Verlag sagen, der diesem Schatz auch ein passendes Gewand gegeben hat. Denn der Buchdeckel wurde mit Schuppenoptik und -haptik versehen.
Da beginnt der Lesegenuss schon vor dem Öffnen des Buches! 🙂
Der Roman liegt schon etwas länger auf meinem Stapel. Es wird langsam Zeit, ihn zur Hand zu nehmen und ihn zu lesen. Im Übrigen lässt sich der Verlag immer etwas Besonderes für die Gestaltung seiner Bücher einfallen. Ich denke unter anderem auch an den wundervollen, aber auch sehr eigenwilligen Roman von Andreas Moster „wir leben hier, seit wir geboren sind“. Viele Grüße
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Oh, ich glaube bestimmt, daß dir die Schlange von Essex gefallen wird.
Ja, der Eichborn Verlag hat schon sehr liebevoll gemachte Bücher im Programm. Ich freue mich immer ungemein darüber, wenn sich jemand Gedanken macht und versucht, noch ein kleines Extradetail draufzulegen. Ich finde, daß wird viel zu selten lobend erwähnt. Und bei diesem Buch hier war es haptisch wirklich ganz wunderbar. Ich habe es im Zug aus meiner Tasche gezogen und immer erst ein wenig gestreichelt. 😉
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Oh, dass ist bestimmt auch etwas für mich! Höhrt sich ganz toll und vor allem interessant an. Mit den historischen Romanen kann ich dir nur beipflichten! Diese Klischee gehärteten Bestseller sind auch nicht meins. Danke für den Tipp
Liebe Grüße
Nina
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Ich kann Dir nur beipflichten. Ich habe das Buch ebenfalls nicht mehr aus der Hand legen können, auch wegen des Humors. Die Szene, in der Cora und der Pfarrer sich zum allerersten Mal begegnen, lässt mich immer noch schmunzeln. Viele Grüße.
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Ja… Wie Cora denkt man erst das Schlimmste und danach ist es einem selbst ein bißchen peinlich. 😅 Zumindest mir ging es so.
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Das mit der schuppigen Oberfläche ist ja klasse, das ist bei meiner englischen Ausgabe nicht so. Das i-Tüpfelchen für das Design 🙂
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Ich glaub, bei der englischen Ausgabe gab’s dafür Goldfolie, damit die Schuppen schimmern?
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Danke für die neugierig-machende Rezension. Das Buch steht seit jetzt auf meiner Wunschliste 🙂
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